Vorwort des Übersetzers
Im Namen Allahs des Allbarmherzigen, des Allgütigen. Jeglicher Lob und Preis gebühren Ihm allein, der Seinen Gesandten Muḥammad Muṣṭafā zur Darlegung jeglicher Angelegenheit in dieser Welt sandte, zur Vertreibung der Finsternis und zum Führen der Menschen aus ihr in das Licht. Mögen die Gebete und Grüße für ihn aus den Mündern Seiner Freunde bis in die Unendlichkeit im Raum hallen und möge Gott ihm Heil und Segen schenken.
Der Anlass für die Übersetzung dieses Abschnittes aus einem längeren Artikel der Rihle, erschienen im Darul-Hikme Verlag Istanbul (verfasst von Hikmet Akpur), war das Aufsuchen verschiedener Sitzungen und das Lesen unterschiedlicher Beiträge und Kommentare sowie die Unterhaltung mit Freunden, Geliebten und der eigenen Familie. Wenn in diesen Sitzungen der Rang, das Wissen und die Verfügungsgewalt des Propheten besprochen wurde und natürlich auch aktuelle Angelegenheiten und Themen, die im Bezug zu den Aussprüchen des Propheten stehen, wurde immerzu die ‚Begebenheit mit den Datteln‘ erwähnt. Manch einer tat dies in guter Absicht und manch einer schien damit eine Herabsetzung des prophetischen Wissens, seiner Verfügungsgewalt und seiner Aufgabe als Prophet zu beabsichtigen. Möge Allah uns davor bewahren! Doch die Absicht bei allen war es immer, dass der Prophet uns die weltlichen Angelegenheiten, ihre Bestimmungen und ihre Beurteilungen überlassen und sich nicht darin eingemischt habe. Ein anderer will mit dem Beispiel sagen, der Prophet sei letztlich nur ein Mensch gewesen und habe nicht wirklich alles wissen können. So wird diese Begebenheit für einen fatalen Analogieschluss verwendet – nämlich dass dies auch in anderen Angelegenheiten so gewesen sein kann. Es werden auch viele weitere verschiedene Thesen mit dieser Begebenheit untermauert.
Die Absicht und das Ziel dieser Übersetzung ist es, diese Überlieferung in ein rechtes Licht zu rücken, seine korrekte Bedeutung und seinen rechtsbestimmenden Charakter festzustellen, um einem Missbrauch und einer Fehldeutung entgegenzuwirken. Das eigentliche Thema des Artikels umfasst die prophetische Medizin, und ob diese eine Offenbarung sei oder nicht, da Gott im Koran sagt: «Und er spricht nicht aus (persönlicher) Neigung. Es ist nichts anderes als eine inspirierte Offenbarung.» (an-Naǧm, 53:3-4). Die Frage stellt sich, ob dieser Vers als absolut zu verstehen sei oder nicht. Die Übersetzung in diesem Artikel beschränkt sich jedoch nur auf die erwähnte Begebenheit und ihre Darlegung.
Und von Allah allein ist der Erfolg und Er weiß es am besten.
[…] Diejenigen, die behaupten, dass Medizin vollkommen dem menschlichen Verstand ausgesetzt, zur weltlichen Angelegenheit gehört und keine Offenbarung ist (wie Ibn Khaldūn und jene, die ihm folgen[1]), führen zuallererst den Hadith mit der Bestäubung der Datteln an. Daher werden wir nun die Beweiskraft dieses Hadith behandeln. Die verschiedenen Überlieferungen hierzu lauten:
مُوسَى بْنِ طَلْحَةَ ، عَنْ أَبِيهِ ، قَالَ : مَرَرْتُ مَعَ رَسُولِ اللهِ صَلَّى اللهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ بِقَوْمٍ عَلَى رُءُوسِ النَّخْلِ ، فَقَالَ : "مَا يَصْنَعُ هَؤُلَاءِ؟" فَقَالُوا : "يُلَقِّحُونَهُ ، يَجْعَلُونَ الذَّكَرَ فِي الْأُنْثَى فَيَلْقَحُ" ، فَقَالَ رَسُولُ اللهِ صَلَّى اللهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ: "مَا أَظُنُّ يُغْنِي ذَلِكَ شَيْئًا." قَالَ فَأُخْبِرُوا بِذَلِكَ فَتَرَكُوهُ ، فَأُخْبِرَ رَسُولُ اللهِ صَلَّى اللهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ بِذَلِكَ فَقَالَ: "إِنْ كَانَ يَنْفَعُهُمْ ذَلِكَ فَلْيَصْنَعُوهُ ، فَإِنِّي إِنَّمَا ظَنَنْتُ ظَنًّا ، فَلَا تُؤَاخِذُونِي بِالظَّنِّ ، وَلَكِنْ إِذَا حَدَّثْتُكُمْ عَنِ اللهِ شَيْئًا فَخُذُوا بِهِ ، فَإِنِّي لَنْ أَكْذِبَ عَلَى اللهِ عَزَّ وَجَل."
Mūsā b. Ṭalḥa überliefert von seinem Vater, der sagte: „Ich begegnete mit dem Gesandten Allahs gemeinsam einer Gruppe von Menschen, die sich bei den Dattelpalmen befanden. Der Gesandte fragte: ‚Was tun sie da?‘, und es wurde gesagt: ‚Sie bestäuben die Dattelpalmen, das heißt, sie führen die männliche (Blüte) in die weibliche (Blüte).‘ Er – Segen und Heil seien auf ihm – sagte: ‚Ich vermute nicht, dass das einen Nutzen bringen wird.‘ Mūsā b. Ṭalḥa sagt: ‚Sie berichteten dies und daraufhin ließen sie von der Befruchtung ab. Als der Gesandte Allahs davon erfuhrt, sagte er: ‚Wenn dies ihnen nützt, dann sollen sie dies tun, denn ich habe nur eine Vermutung geäußert. Ihr sollt mich nicht wegen meiner Vermutung kritisieren. Wenn ich euch jedoch eine Sache von Allah sage, so nimmt dies, denn ich lüge zweifellos nicht über Allah ʿazza wa ǧalla.‘“[2]
حَدَّثَنِي رَافِعُ بْنُ خَدِيجٍ، قَالَ قَدِمَ نَبِيُّ اللَّهِ صلى الله عليه وسلم الْمَدِينَةَ وَهُمْ يَأْبُرُونَ النَّخْلَ يَقُولُونَ يُلَقِّحُونَ النَّخْلَ فَقَالَ " مَا تَصْنَعُونَ " . قَالُوا كُنَّا نَصْنَعُهُ قَالَ " لَعَلَّكُمْ لَوْ لَمْ تَفْعَلُوا كَانَ خَيْرًا " . فَتَرَكُوهُ فَنَفَضَتْ أَوْ فَنَقَصَتْ - قَالَ - فَذَكَرُوا ذَلِكَ لَهُ فَقَالَ " إِنَّمَا أَنَا بَشَرٌ إِذَا أَمَرْتُكُمْ بِشَىْءٍ مِنْ دِينِكُمْ فَخُذُوا بِهِ وَإِذَا أَمَرْتُكُمْ بِشَىْءٍ مِنْ رَأْىٍ فَإِنَّمَا أَنَا بَشَرٌ " . قَالَ عِكْرِمَةُ أَوْ نَحْوَ هَذَا . قَالَ الْمَعْقِرِيُّ فَنَفَضَتْ . وَلَمْ يَشُكَّ .
Rāfiʿ b. Khadīǧ überlieferte: „Als der Gesandte Allahs nach Medina kam, waren die Medinenser dabei, die Datteln zu bestäuben. Als gesagt wurde, dass sie die Datteln bestäuben, fragte der Prophet – Segen und Heil seien auf ihm –: ‚Was tut ihr da?‘, und sie sagten: ‚Wir befruchten die Datteln.‘ Der Gesandte Allahs sagte: ‚Wenn ihr dies nicht tun würdet, wäre dies für euch besser.‘ Daraufhin unterließen sie dies und die Knospen fielen ab oder die Ernte fiel gering aus. Als ihm dies mitgeteilt wurde, sagte er: ‚Ich bin nur ein Mensch, wenn ich euch bezüglich eurer Religion etwas befehle, so nimmt dies, doch wenn ich euch etwas von meiner eigenen Ansicht sage, so bin ich nur ein Mensch.‘ ʿikrima sagte: ‚Oder er sagte etwas ähnliches.‘ Al-Maʿqirī sagte: ‚Die Dattelknospen fielen ab.‘ Und er zweifelte nicht.“[3]
عَائِشَةَ وَعَنْ ثَابِتٍ عَنْ أَنَسٍ أَنَّ النَّبِيَّ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ مَرَّ بِقَوْمٍ يُلَقِّحُونَ فَقَالَ لَوْ لَمْ تَفْعَلُوا لَصَلُحَ قَالَ فَخَرَجَ شِيصًا فَمَرَّ بِهِمْ فَقَالَ مَا لِنَخْلِكُمْ قَالُوا قُلْتَ كَذَا وَكَذَا قَالَ أَنْتُمْ أَعْلَمُ بِأَمْرِ دُنْيَاكُمْ.
Aischa und Thābit überliefern von Anas: „Der Gesandte Allahs kam an einer Gruppe vorbei, die beim Bestäuben war. Er sagte: ‚Es ist sicherlich besser, wenn ihr dies nicht tut.‘ Anas sagte: ‚Die Datteln fielen als Knospen vom Baum.‘ Als der Gesandte Allahs wieder an ihnen vorbeiging, sagte er: ‚Was ist mit euren Datteln geschehen?‘ , und sie sagten: ‚Wir taten, wie du uns geheißen hast und das ist passiert.‘ Er sagte: ‚Ihr kennt die Angelegenheit eurer Welt besser.‘“[4]
وعن جابر بن عبد الله أن النبي - صلى الله عليه وسلم - مر بقوم يلقحون النخل ، فقال:"ما أرى هذا يغني شيئا" ، فتركوها ذلك العام فشيصت ، فأخبر النبي - صلى الله عليه وسلم - فقال: "أنتم أعلم بما يصلحكم في دنياكم."
Ǧābir b. Abdullah überliefert: „Der Gesandte ging an einem Volk vorbei, welches die Datteln befruchtete. Er sagte: ‚Ich bin nicht der Meinung, dass dies Nutzen bringen wird.‘ Daraufhin unterließen sie dies. In diesem Jahr fielen die Datteln von den Bäumen, als sie noch Knospen waren. Dies wurde dem Propheten berichtet. Er sagte: ‚Ihr wisst hinsichtlich eurer Welt besser, was für euch nützlich ist.‘“[5]
Über diese Hadithe gibt es die Beurteilungen ṣaḥīḥ, ḥasān und mursal des ṣaḥābī. Es gibt also keinen Zweifel über die Authentizität des Hadith in diesem Bereich. Wir wollen nun die ganzheitliche Einordnung des Hadith untersuchen und dann besprechen, inwiefern dies mit Medizin zu tun hat. Trotz der unterschiedlichen Wortlaute dieser vier Hadithe kann gesagt werden, dass diese Punkte sicher sind:
1. Der Gesandte Allahs sagte schon gleich am Anfang der ersten Überlieferung:
إِنْ كَانَ يَنْفَعُهُمْ ذَلِكَ فَلْيَصْنَعُوهُ ، فَإِنِّي إِنَّمَا ظَنَنْتُ ظَنًّا
„Wenn ihnen dies nützt, dann sollen sie dies tun, denn ich habe nur eine Vermutung geäußert“, womit er darauf hindeutete, dass er lediglich eine Vermutung äußerte und somit dies keine prophetische Anordnung war. Sie waren also freigestellt, so zu handeln, wie sie denken, dass es Nutzen für sie bringt. Als dann die Datteln herabfielen, war es höchstwahrscheinlich so, dass der Gesandte Allahs – in Anbetracht der unterschiedlichen Wortlaute der Überlieferungen – wiederholte, dass er nur eine Vermutung geäußert hatte.
- Dennoch haben die Gefährten des Propheten dies als einen Befehl des Propheten wahrgenommen (das heißt, sie verstanden den Propheten falsch) oder, obwohl sie wussten, dass dies kein Befehl war, haben sie aufgrund ihrer Liebe und Gebundenheit zum Propheten die Befruchtung sein lassen. Dies ist ein wichtiger Punkt, den es hinsichtlich der vollkommenen Ergebung der Gefährten gegenüber jeglichen Meinungen des Propheten zu bedenken gilt. Die Gefährten des Propheten bewahrten den Anstand, ihre Ansichten nicht über die Ansichten des Propheten zu stellen – sogar in Angelegenheiten, in denen sie sehr bewandert waren – und dies waren sie sehr wohl bei der Bestäubung von Datteln, da sie dies regelmäßig taten.
- Ibn Taimiya sagt: „Der Prophet verbat ihnen die Bestäubung nicht, sondern sie irrten sich in ihrer Vermutung, dass der Prophet es ihnen verboten habe, genauso wie der Gefährte, der sich in der Anwendung des äußeren Wortlautes des Verses „die weiße Schnur“ und „die schwarze Schnur“ (2:187) irrte.“[6] Somit war dies kein Fehler von Seiten des Propheten, sondern ein Fehler der Gefährten, die ihn missverstanden hatten.
- Nachdem der Prophet seine eigene Meinung dargelegt hatte und etwas anderes geschah, sagte er:
وَإِذَا أَمَرْتُكُمْ بِشَىْءٍ مِنْ رَأْىٍ فَإِنَّمَا أَنَا بَشَرٌ
„Wenn ich euch etwas von meiner eigenen Ansicht sage, so bin ich nur ein Mensch.“ Damit lehnte der Prophet nicht ab, dass er auch in Form von Vermutungen Befehle äußern kann, sondern er sagte damit, dass sie Möglichkeit des Irrtums bedenken sollen. In der Überlieferung Ibn Māǧas wird über die Wahrscheinlichkeit, dass sich in seiner Ansicht (vor der Offenbarung) ein Fehler befinden kann, berichtet. Darüber hinaus sind mit den Worten des Propheten „von meiner eigenen Ansicht“ die Angelegenheiten gemeint, über die keine Offenbarung notwendig ist und die zu den Angelegenheiten der Welt gehören. Damit sonderte er seine Worte hinsichtlich der Themen der Realität der Existenz (Diesseits/Jenseits), der Gesetze der Scharia und des Glaubens ab.
2. Wenn wir uns den Satz der dritten Überlieferung:
أَنْتُمْ أَعْلَمُ بِأَمْرِ دُنْيَاكُمْ.
„Ihr kennt die Angelegenheit eurer Welt besser“, genauer ansehen – denn dies ist die Stütze derer, die die Hadithe über die prophetische Medizin in diese Kategorie einordnen –, sagte der Gesandte Allahs nicht: „Ihr kennt die Angelegenheiten der Welt besser“, sondern er sagte: „Ihr kennt die Angelegenheiten eurer Welt besser.“ Hierin liegt ein feines Detail. Der Gesandte Allahs sagte damit, dass sie ihren Fachbereich und ihr Handwerk besser kennen, denn der Gesandte Allahs war nicht damit beauftragt, in allen Handwerken und Fachbereichen bewandert zu sein. Weil die Einkommensquelle und das Handwerk einer jeden Person Teil seiner eigenen Welt ist, schränkte der Prophet dies mit der Aussage „eure Welt“ ein. In der von Ṭabarānī von Ǧābir b. Abdullah überlieferten Version heißt es am Ende: „Ich bin kein Landwirt und kein Gärtner, so bestäubt“, was dies verdeutlicht. Er – Segen und Heil seien auf ihm – sagte nicht „die Angelegenheiten der Welt“, denn unter den Menschen sind es die Propheten, die die Angelegenheiten der Welt am allerbesten kennen. Daher teilte der Prophet zwischen den Angelegenheiten der Welt und den persönlichen/speziellen Angelegenheiten. Während also die Grundlagen für die persönlichen und sozialen Gegebenheiten der prophetischen Leitung bedürfen, wurden die Handwerke und Einkommensquellen, die an wissenschaftliche und technologische Fortschritte gebunden sind, der menschlichen Freiheit innerhalb der Grenzen der Scharia überlassen. Daher muss man unter der Aussage: „die Angelegenheiten eurer Welt“ den Bereich verstehen, den man als ibāḥa (Neutralität) bezeichnet, also notwendige Angelegenheiten, die keine Verordnung seitens der Scharia benötigen und die sich nach Verlauf von Zeit, Ort, Klima und Kultur verändern können. Weil diese Angelegenheiten unzählige sind und Erlaubtes und Verbotenes klar sind, wäre es nicht weise, wenn ein Gesetzerlassender sich bei einem Urteil ausschließlich auf diese Überlieferung stützt.
Imam al-Nawawī sagt:
„Die Gelehrten sagten über: ‚Ihr kennt die Angelegenheit eurer Welt besser‘ folgendes: ‚Die Aussage des Propheten in der erwähnten Überlieferung:
مِنْ رَأْىٍ
‚gemäß meiner Ansicht‘, schließt all das ein, was mit den weltlichen Angelegenheiten und Einkommensquellen zu tun hat und nicht durch taschrīʿ (rechtlicher Erlass) ist. Jene Sachen, die der Prophet – Segen und Heil seien auf ihm – als Ansicht oder iǧtihād geäußert hat, so ist deren Befolgung gemäß der Scharia verpflichtend, doch die Bestäubung der Datteln fällt nicht in diese Kategorie, sondern in die vorher erwähnte Kategorie.“
Die Gelehrten sagten: „Diese Aussage – wie es auch die Überlieferungen klar darlegen – sind nicht in die Kategorie der Kundgebung einzuordnen, sondern in die Kategorie der Vermutung.“ Sie sagten: „Seine – Segen und Heil seien auf ihm – Vermutung in Bezug auf Handwerke ist wie die Meinung und Vermutung anderer. Wie in diesem Beispiel auch gibt es kein Hindernis für ihr Auftreten und es ist auch nichts Mangelhaftes darin. Grund hierfür ist, dass er seine gesamte Konzentration auf das Jenseits und die Erkenntnis dessen gerichtet hatte…“[7]
Wir erachten die Deutung der Worte „Ihr kennt die Angelegenheit eurer Welt besser“, wie es an-Nawawī und Qāḍī ʿiyāḍ tun, nämlich, dass das Herz des Propheten so gefüllt war mit der Liebe und Gewaltigkeit Gottes, dass er keine Beziehung mehr zu den weltlichen Angelegenheiten hatte, von einer Seite her nicht als korrekt. Zu sagen, dass der Gesandte Allahs mit den weltlichen Angelegenheiten nichts mehr zu tun hatte, widerspreche der Realität. Dass sein Herz gefüllt war mit der Andacht Gottes stellt keinen Widerspruch zu der Beschäftigung mit den Angelegenheiten der Menschen dar. So war ja der Grund, wieso er seine Meinung über die Bestäubung der Datteln äußerte, dass er sich mit allen Angelegenheiten seiner Gemeinde beschäftigte. Gemäß unserer Ansicht war die hohe Absicht des Gesandten, wie wir es darlegten. So wird dies auch bestärkt von dem Satz im Werk Ibn Māǧas: „Wenn eine Sache die Angelegenheit eurer Welt ist, dann soll es so sein, wie ihr es kennt.“
- Wenn wir die beiden Sätze: „مِنْ رَأْىٍ“ „gemäß meiner Ansicht“ und „أَنْتُمْ أَعْلَمُ بِأَمْرِ دُنْيَاكُمْ.“, „Ihr kennt die Angelegenheiten der Welt besser als ich“ zusammenfügen und sie gemeinsam betrachten, verstehen wir daraus, „dass Handwerke für weltliches Einkommen und das Handwerk von Fachmännern nicht Thema des taschrīʿ (urteilsgebenden Offenbarung) ist. Die Datteln zu jener Jahreszeit zu bestäuben, die Festlegung der Art der Bestäubung und die Bestimmung der Wassermenge zur Bewässerung etc. sind nicht per se die Angelegenheiten des taschrīʿ, sondern sind Angelegenheiten, die unter die Kategorie ‚ihr kennt die Angelegenheiten der Welt besser als ich‘ fallen. Doch das Handwerk mit halal-Mitteln auszuführen, währenddessen keinem zu schaden, das Erworbene für Erlaubtes auszugeben und die von der Scharia vorgegebenen Abgaben zu entrichten, sind „weltliche Angelegenheiten“, die dem taschrīʿ unterliegen, und fallen nicht unter den Hadith: „eure weltlichen Angelegenheiten“. Daher nannte Imam an-Nawawī den Namen des Kapitels in Ṣaḥīḥ Muslim: „Die religiöse Pflicht, seinen Worten [den Worten des Propheten] bezüglich dem Lebensunterhalt zu gehorchen, wenn sie nicht seine Vermutung darstellen.“ (wuǧūbu imtisāli mā qālahu scharʿan dūna mā zakarahu min maʿāyīsch al-dunyā ʿalā sabīl al-raʾy).
Es ist nicht Thema des taschrīʿ, die Medizin und die Behandlungsformen und Mittel sowie die Medikamente zu bestimmen, jedoch die Bestimmung dessen, ob die verwendeten Materialien halal oder haram sind. Auch unterstehen jene Handwerke, die an die Moral geknüpft sind, der Scharia.
- Alle Hadithe, außer jene, in denen der Prophet erwähnte, dass er mit seiner menschlichen Vermutung und Beurteilung spricht, können nicht ohne einen starken Beweis oder Hinweis als die menschliche Vermutung oder Beurteilung des Propheten – Segen und Heil seien auf ihm – gewertet werden. Den Satz des Hadith: „Ihr kennt die Angelegenheiten eurer Welt besser“ als allumfassend zu verstehen, stellt ein vollständig falsches und nichtiges Verständnis dar. Denn der Kontext des Hadith umfasst ganz klar und offenkundig einen Bereich, der nicht Thema der Offenbarung und des taschrīʿ ist. Den Ort des Satzes und die mit dem Satz umfasste Bedeutung außerhalb seines Bereiches zur Geltung zu bringen, erfordert einen starken Hinweis. Der ehrenvolle Schaikh Muḥammad b. Ṭāhir b. ʿāschūr sagt:
„Wisse, dass unter den besonders erwähnten Zuständen des Propheten der Zustand des taschrīʿ am häufigsten und gewaltigsten war, denn Allah – Erhaben und Makellos ist Er – wollte mit seiner Sendung in erster Linie taschrīʿ. Dieser Zustand [des Propheten] wird mit den folgenden Worten Allahs dargelegt: «Und Muhammad ist nichts anderes außer ein Gesandter…» (Āl ʿimrān, 3:144). Daher ist es letztlich notwendig, die Worte und Taten des Propheten in Bezug auf den Zustand seiner Gemeinde als Angelegenheiten des taschrīʿ zu erachten. Dies ist solange notwendig, bis ein konträrer Hinweis erbracht wurde.“[8]
«Und dein Herr hat der Biene eingegeben: Mach dir Häuser aus den Bergen und aus den Bäumen und aus dem, was die Menschen (an Reblauben oder Hütten) errichten! Hierauf iss von allen Früchten und zieh auf den Wegen deines Herrn, (die dir) gebahnt (sind), dahin! Aus dem Leib der Bienen kommt ein für die Menschen heilsames Getränk von verschiedenen Arten heraus. Darin liegt ein Zeichen für Leute, die nachdenken.» (an-Naḥl, 16:68-69).
Dieser Vers alleine reicht aus, um die Falschheit der Herangehensweise darzustellen, mit der versucht wird, die Worte des Gesandten Gottes über die Medizin anhand des Hadith in Muslim (bezüglich der Bestäubung der Datteln) als ‚Angelegenheiten eurer Welt‘ zu verstehen. Mit diesem Versuch wird besagt, dass dies nur das traditionelle Wissen der Araber gewesen sei. Doch der obige Vers über die Heilung bezieht sich auf die weltlichen Angelegenheiten und Allah gab uns die Biene und den Honig als ein Zeichen. Der Gesandte Gottes lehrte die Anwendung des Verses, indem er dem ṣaḥābī, der sich über die Bauchschmerzen (Durchfall) seines Bruders beklagte, anriet, ein Getränk aus Honig zu trinken. Dies zeigt uns, dass wir einige Worte des Propheten über die Medizin sogar als Erläuterung des Korans wahrnehmen können.
Die Angelegenheiten des Erlaubten und Verbotenen in Speise und Trank, die nuṣuṣ (klaren eindeutigen Texte) in Bezug auf die zwischenmenschlichen Beziehungen, über das Strafrecht sowie den Handel – all diese Themen werden im Koran und der Sunna reguliert, obwohl sie zu den weltlichen Angelegenheiten gehören. Es ist bar jeglicher Notwendigkeit darzulegen, dass alle Regelungen der Scharia zur Ordnung und Regulierung der weltlichen Angelegenheiten existieren, ausgenommen das Gebet, das Fasten, die Pilgerfahrt sowie die Andacht Gottes.
Eine wie zu Beginn beschriebene Einteilung ist aus der Sicht des Islams also nicht korrekt. Überlieferungen dieser Art werden in der Moderne auch oft von jenen verwendet, die für die Muslime einen Säkularisierungsprozess wünschen. Die Scharia ist für diese Welt gekommen und hat zum Ziel, dass die Menschen ein Leben im Wohlgefallen Gottes verbringen und im Jenseits die Wohnstätte des Friedens betreten. Dies ist nur mit der Scharia möglich, weswegen sie das Leben reguliert.
Insbesondere die Wiedergabe der Worte des Propheten als: „ihr kennt die weltlichen Angelegenheiten besser“ ist eine klare Verfälschung. Dieser Satz würde sich auf alle zwischenmenschlichen Beziehungen, auf alle sozialen und politischen Angelegenheiten beziehen und wäre somit höchstgefährlich. Einige Orientalisten, Laizisten und Abendländer verbreiten diese Ideen und versuchen, die muslimische Bevölkerung damit zu verwirren.
- Hat diese erwähnte Überlieferung etwas mit Medizin zu tun? Hierfür liegt nicht im Geringsten auch nur der kleinste Hinweis vor. Weder Ibn Khaldūn – möge Allah barmherzig mit ihm sein – noch jene gegenwärtigen Forscher, die ihm darin folgen, können dies beweisen. Der vorgelegte qiyās beinhaltet keine gemeinsame ʿilla (Rechtsgrund) zwischen māqis (dem Verglichenen) und māqisun ʿalayh (dem, auf den der Vergleich angewandt wird). Es wird erst ein Urteil gefällt und dann wird der vorgebrachte Hinweis mit den medizinischen Überlieferungen verglichen – dies ist jedoch keine korrekte Herangehensweise. In der Bestäubung der Datteln gibt es nichts, was mit haram, halal, ʿaqīda oder Ethik zu tun hat, doch dies trifft nicht auf die Überlieferungen über die Medizin zu. In den prophetischen Überlieferungen über Medizin gibt es, wie es bei der Überlieferung mit den Datteln vorkommt, keinen Ausdruck, der besagt, dass dies seine Vermutung sei. An keiner Stelle ist ein Ausdruck wie „Ihr kennt die Angelegenheiten eurer Welt besser“ zu finden. Im Gegenteil: Die Überlieferungen beinhalten klare Befehle, Ratschläge und Verbote und sind in einem eindeutig bestimmenden Wortlaut. Daher ist der Vergleich der Medizin mit der Bestäubung der Datteln nicht korrekt, beides steht also nicht in Relation zueinander. Hinzukommt, dass keiner der Kommentatoren jemals erwähnte, dass die Hadithe über Medizin ebenfalls so zu werten seien.
Heutige medizinische Themen wie künstliche Befruchtung, Reagenzglaskinder, Leihmütter, Abtreibung, Methoden und Medikamente der Geburtenkontrolle, Organtransplantation und die im Westen vorhandene und bei uns nicht existierende Euthanasie sind Fragen und Themen, die sicherlich nicht unter dem Satz „Ihr kennt die Angelegenheiten eurer Welt besser“ einzuordnen sind. Im Gegenteil, es muss Antworten auf diese Fragen mit den Worten der Scharia geben, das heißt, es muss gesagt werden, ob derartige Sachverhalte halal oder haram sin und unter welchen Bedingungen dies gilt oder nicht. […]
[1]Schāh Waliyullāh al-Dahlawī, Faḍlurraḥmān und Schuʿayb ʿArnaūt. [Anm. d. Ü.]
[2] Ṣaḥīḥ Muslim, Kitāb al-faḍāʾil, 38. Bāb, 2361. Ḥadīth, Riad 1427; Ibn Māǧa, B. 3, 2470. Ḥadīth, Damaskus 2009; In Ibn Māǧa ist es anders als in Muslim und es heißt dort: „Es ist nur eine Vermutung. Wenn es ihnen Nutzen bringt, sollen sie es tun. Ich bin nur wie ihr ein Mensch und eine Vermutung kann zweifellos richtig oder fehlerhaft sein.“ Musnad Aḥmad, B. 2, 1395., 1399. Ḥadīth, Kairo 1995. Hier heißt es: „Eine meiner Vermutungen.“ Musnad Abū Dāwūd al-Ṭayālisī, Aḥādīth Ṭalḥa b. ʿubaydullāh, B. 1, 227. Ḥadīth, Dār al-Ḥiǧr 1999. Abū Yaʿlā al-Mawsilī, B. 2, 639. Ḥadīth, Damaskus 1984. Musnad al-Bazzār, B. 3, 937. Ḥadīth, Medina 1988. Hier lautet der Hadith: „Ihr wisst besser, was für eure Welt angemessen ist. Ich habe euch zweifellos nur meine Vermutung gesagt…“. Al-Muntahab min musnad ʿAbd b. Ḥumaid, B. 1, 102. Ḥadīth, Riad 2002. Yaḥyā b. Ādam al-Quraschī, Kitāb al-harāǧ, S. 138f., 361. Ḥadīth, 1987. Ḥaitham b. Kulaib asch-Schāschī, Musnad, B. 1, 7. – 9. Ḥadīth, Medina 1989. Ibn Abī Āsim, al-Āḥād wa al-mathānī, 207. Ḥadīṯ, S. 165, Riad 1991. Abū Nuʿaym, Ḥilyāt al-awliyāʾ, B. 4, S. 372f., Libanon 1996.
[3]Ṣaḥīḥ Muslim, 2362. Ḥadīth. Ṣaḥīḥ Ibn Hibbān bī tartīb Ibn Balbān, B. 1, 23. Ḥadīth, Libanon 1993. Ṭabarānī, al-Muʿǧam al-kabīr, B.4, 4424. Ḥadīth, Kairo. Ṣaḥīḥ Muslim, 2363. Ḥadīth. Ibn Māǧa, B. 3, 2471. Ḥadīth. Musnad Aḥmad, B. 17, 24801. Ḥadīth. In Ibn Māǧa und Imām Aḥmad heißt es: „Wenn eine Sache eine Angelegenheit eurer Welt ist, dann soll es so sein, wie ihr es kennt. Ist es jedoch eine Angelegenheit eurer Religion, so ist es meine Sache.“ Abū Yaʿlā al-Mawsilī, Musnad, B. 6, 3480., 3531. Ḥadīth. Ibn Hibbān, B. 1, 22. Ḥadīth. Ibn Ḥazm, al-Iḥkām fi uṣūl al-aḥkām, B. 5, S. 138 (mit eigener Kette). Die Überlieferungen von Anas – möge Allah mit ihm zufrieden sein – gleichen denen der ʿāʾischa – möge Allah mit ihr zufrieden sein – im Wortlaut.
[4]Ṣaḥīḥ Muslim, 2363. Ḥadīth. Ibn Māǧa, B. 3, 2471. Ḥadīth. Musnad Aḥmad, B. 17, 24801. Ḥadīth. In Ibn Māǧa und Imām Aḥmad heißt es: „Wenn eine Sache eine Angelegenheit eurer Welt ist, dann soll es so sein, wie ihr es kennt. Ist es jedoch eine Angelegenheit eurer Religion, so ist es meine Sache.“ Abū Yaʿlā al-Mawsilī, Musnad, B. 6, 3480., 3531. Ḥadīth. Ibn Hibbān, B. 1, 22. Ḥadīth. Ibn Ḥazm, al-Iḥkām fi uṣūl al-aḥkām, B. 5, S. 138 (mit eigener Kette). Die Überlieferungen von Anas – möge Allah mit ihm zufrieden sein – gleichen denen der ʿāʾischa – möge Allah mit ihr zufrieden sein – im Wortlaut. Nūr al-Dīn al-Haithamī, Kaschf al-Asrār ʿan zawāʾid al-Bazzār, B. 1, 202. Ḥadīth, Beirut 1979. Ṭabarānī, Muʿǧam al-ausaṭ, B. 1, 1030. Ḥadīth, Kairo 1995. Am Ende von Ṭabarānī heißt es: „Ich bin kein Landwirt und auch kein Besitzer eines Dattelpalmengarten. So bestäubt.“ Die Überlieferungskette des Ṭabarānī ist schwach.
[5] Nūr al-Dīn al-Haithamī, Kaschf al-Asrār ʿan zawāʾid al-Bazzār, B. 1, 202. Ḥadīth, Beirut 1979. Ṭabarānī, Muʿǧam al-ausaṭ, B. 1, 1030. Ḥadīth, Kairo 1995. Am Ende von Ṭabarānī heißt es: „Ich bin kein Landwirt und auch kein Besitzer eines Dattelpalmengarten. So bestäubt.“ Die Überlieferungskette des Ṭabarānī ist schwach.
[6] Schaikh al-Islam Ibn Taymiya, Maǧmūʿ al-fatāwā, B. 18, S. 11, Manṣūra 2005. Imam Nawawī, al-Minḥāǧ scharḥ ṣaḥīḥ Muslim, B. 15, S. 116, Kairo 1930.
[7]Imam Nawawī, al-Minḥāǧ scharḥ ṣaḥīḥ Muslim, B. 15, S. 116, Kairo 1930.
[8]Muḥammad Ṭāhir b. ʿāschūr, Maqāṣid al-scharīʿa al-islāmīya, S. 229, Jordanien 2001.
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