Datum: 
23.02.2016
Kategorie: 

Überfordert und verwirrt beim Versuch, den Islam zu verstehen und zu praktizieren: Was kann ich tun?

Beantwortet von Ustadh Salman Younas

Frage: Meine Fragen:

(1) Ich höre ständig, dass diejenigen, die ein einziges Gebet verpassen, ungläubig geworden sind. Macht mich das Verpassen eines Gebetes zu einem Nichtmuslim?

(2) Ich finde es persönlich schwer zu glauben, dass die Mehrheit der Menschheit ewig im Höllenfeuer verweilen wird. Wie lautet das Urteil über das Abfallen vom Islam? Wie lautet das Urteil über Homosexualität?

(3) Ich bin überfordert von dem Wissen, welches ich erlernen muss. Ich nehme bereits an SeekersGuidance (Anm. d. Übers.: englischsprachiger Online-Unterricht) teil, aber welche anderen Quellen gibt es?

Antwort: Du hast eine Reihe von Belangen in Deinen Fragen aufgeworfen und ich werde versuchen sie so gut ich kann zu beantworten.
 

Das Für-ungläubig-Erklären (takfīr)

Eine Person zu verurteilen, nicht mehr innerhalb des Islams zu sein, ist eine ernste Angelegenheit, da es nicht nur für die verurteilte Person Konsequenzen hat, sondern auch für die Person, die solch eine Behauptung aufstellt.

Abū Huraira unterwies einmal eine Person, die eine andere des Unglaubens bezichtigt hatte: „Ich hörte den Gesandten Gottes – möge Allah mit ihm zufrieden sein – sagen: 'Wer gegen einen Muslim Zeugnis ablegt, wobei dies nicht auf Letzteren zutrifft, der soll sich für seinen Platz im Feuer vorbereiten.'“ (Aḥmad, Musnad; Abū Dāwūd, Musnad)

Der Gesandte – möge Allah mit ihm barmherzig sein – sagte auch: „Wer auch immer einen Muslim des Unglaubens bezichtigt, dann ist es, als ob er ihn getötet hätte.“ (Ṣaḥīḥ al-Bukhārī)
Das sind nicht nur leere Worte, sondern ernste Warnungen wegen des Beschuldigens einer Person für den Unglauben und nur denjenigen, welchen ein ganzheitliches Verständnis des prophetischen Weges fehlt, machen es sich zur Gewohnheit, die Menschen um sich herum zu verurteilen und ignorieren die prophetischen Warnungen in dieser Sache.
Das Urteil über den Islam einer bestimmten Person ist einzig und allein Angelegenheit eines Richters oder Rechtsgelehrten, welcher nach gründlicher Ermittlung, die strengen Bedingungen unterlegen ist, ein Urteil fällt. Darüber hinaus sind solche Urteile in erster Linie mit Rücksicht auf die weltlichen Rechte, die sich auf die Sache beziehen, wie Angelegenheiten zur Ehe, zum Erbe und Ähnlichem, zu fällen. Sie stellen nichts Entscheidendes über den Zustand solch einer Person im nächsten Leben dar. Daher ist es nicht Aufgabe gewöhnlicher Muslime, sowohl nicht-qualifizierter als auch semi-qualifizierter, jemanden des Unglaubens zu bezichtigen.

Die Angelegenheit über das Verpassen des Gebets

Die Mehrheit der Gelehrten sagt, dass man durch sündige Handlungen kein Ungläubiger wird. Imam Al-Tahawi fasst dies kurz und bündig in seiner Erklärung zusammen: „Eine Person tritt nicht aus dem Glauben aus, außer sie leugnet das, was sie zum Glauben brachte.“

Das ist eine allgemeine Regel und obwohl einige Ausnahmen existieren, ist die Mehrheit der Gelehrten der Meinung, dass ein verpasstes Gebet jemanden nicht aus dem Islam bringt – außer die Person denkt, es sei keine Pflicht zu beten.

Sunnitische Gelehrte haben textuelle Beweise für diese Regel zitiert. Die bedeutendsten sind Aussagen des Gesandten – möge Allah mit ihm barmherzig sein –, die zeigen, dass das Glaubensbekenntnis (schahāda) ausreicht, um zur Erlösung zu gelangen. So wird zum Beispiel berichtet, dass der Gesandte – möge Allah mit ihm zufrieden sein – sagte:

„Für jeden, der bezeugt, dass es keinen Gott gibt außer Gott, wird das Paradies verpflichtend.“ (Bukharī, Muslim)

Diese Tradition ist zahlreich in ihrer Bedeutung vom Gesandten – der Friede Allahs sei auf ihm – bei über mehr als dreißig seiner Gefährten überliefert worden (vgl. Al-Kattani, Nazm al-Mutanathir).
 

Daher sind die ḥanafitische, schāfiitische, mālikitische und ḥanbalītische Rechtschule der Meinung, dass das Auslassen des Gebetes einen nicht aus dem Rahmen des Islams bringt (vgl. Nawawi, al-Majmu; Hattab, Mawahib al-Jalil; Ibn Qudama, al-Mughni; Ibn ʿAbidin, Radd al-Muhtar).

Es ist wahr, dass einige Gelehrte die Meinung vertreten, dass das Verlassen des Gebetes einen zum Ungläubigen macht. Aber die bloße Tatsache, dass es eine Meinungsverschiedenheit in dieser Sache gibt, macht jegliches Urteil unakzeptabel.

Wie Imam Al-Haskafi sagt: „Ein rechtmäßiges Urteil über den Unglauben eines Muslims kann nicht gegeben werden, wenn seine Worte in eine gültige Meinung interpretierbar sind oder wenn es über den Unglauben eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Gelehrten gibt, auch wenn diese schwach ist.“ (Durr al-Mukhtar)

Die Gelehrten warnen davor, über den Glauben eines Menschen zu urteilen, selbst wenn dieser sagt, dass das Verrichten des Gebetes keine Pflicht darstellt. Dies soll aus dem Grund vermieden werden, da er Zweifel und Gründe haben kann, warum er dieser Meinung ist und diese einer Aufklärung und Unterweisung bedarf.

 

Das Seelenheil Anderer

Du hast auch Bedenken darüber geäußert, dass „die Mehrheit der Menschheit“ auf ewig im Höllenfeuer verweilen wird. Allerdings ist das nicht, was uns der Islam lehrt und es gibt wenige primäre Quellen unserer Religion, die diese Spekulation stützen.

Die Angelegenheit über das Schicksal der Menschen im nächsten Leben wird Gott überlassen. Wir wissen, dass denjenigen, zu denen der Islam kam, sie ihn als ihre Religion anerkannten und dann davon abließen, Strafe versprochen wurde, und wir wissen auch, dass diejenigen, die sich zum Islam aufrichtig bekennen, belohnt werden. Aber über diejenigen, welche sich in der Mitte - also zwischen den beiden Kategorien befinden - können wir kein entscheidendes Urteil abgeben.

Abu Hāmid al-Ghazālī, einer der einflussreichsten Gelehrten des Islams, hat gemeint, dass die meisten Nichtmuslime in Europa und Zentralasien seiner Zeit für die Erlösung berechtigt sein würden, da sie die Nachricht des Islams entweder überhaupt nicht oder nur eine korrupte Version davon gehört hatten (Ghazālī, Faysal al-tafriqa).

Mit anderen Worten: al-Ghazālī hat gedacht, dass moralische Verantwortung nur dann gegeben ist, wenn (a) einer über den Islam informiert wurde und (b) dies auf eine gute Art und Weise getan wurde.

Ähnliches sagte Shāh Walī Allah Dihlawī, ein berühmter Gelehrter des indischen Subkontinents: Innerhalb der Kategorie von Menschen, die von Gott im nächsten Leben entschuldigt sind, sind folgende: „Jene, deren Körper und Gemütszustand zwar gesund sind, aber die von der Botschaft des Islam nicht erreicht wurden; oder sie wurden von der Botschaft erreicht, allerdings in einer Art und Weise, die nicht beweisend war und die keine Zweifel beseitigt hatte. Somit wuchsen sie auf und haben sich weder verabscheuungswürdigen Eigenschaften, noch zerstörerischen Taten hingegeben. Außerdem wendeten sie ihre Aufmerksamkeit weder Richtung Gott, noch lehnten sie Ihn ab oder bestätigten Ihn. Die meisten ihrer Interessen drehten sich um die unmittelbaren weltlichen Angelegenheiten eines zivilisierten Lebens“ (Hujjat Allah al-Baligha).

Ich erwähne beide oben genannten Ansichten in dem Versuch, die vorhandene Vielfalt im traditionellen Diskurs bezüglich des Seelenheils Anderer aufzuzeigen. Ein Diskurs, welcher von den Gelehrten bis zum heutigen Tag weitergeführt wird.

 

Vom Wissen überfordert sein

Bezüglich des Überfordertseins von Wissen liegt der Schlüssel in der Erkenntnis, dass es in der Religion um Mäßigung geht. Der Gesandte – möge Allah mit ihm barmherzig sein – sagte: „Keiner macht die Religion schwer, ohne dass sie ihn überwältigt. So bleibe bei dem, was richtig ist, halte den mittleren Weg [...]“ (Bukharī)

Ein Teil der Mäßigung ist, zu erkennen, dass man nur so viel tragen kann, wie man in der Lage ist. Es geht darum zu erkennen, was die eigenen Prioritäten sind. Es gibt zum Beispiel (in den meisten Fällen) wenig Nutzen darin, detaillierte Aspekte der Theologie zu erlernen, wenn jemand nicht weiß, wie man richtig betet. Es wird von dir nicht erwartet, dass du alles weißt und sogar, wenn du verpflichtet bist etwas zu lernen, wird es Zeit in Anspruch nehmen, bis du es gelernt hast. Diese Zeit variiert von Person zu Person. Erinnere dich daran, dass nicht alle Gefährten wie Abu Bakr waren: manche von ihnen waren einfache Beduinen. Möge Allahs Wohlgefallen mit ihnen allen sein!

Daher würde ich dir raten, dass du dir nicht allzu große Sorgen darum machst. Fange mit den Grundlagen an: deine Reinheit, dein Gebet, dein Fasten, deine Zakāh, indem du an den Kursen von SeekersGuidance teilnimmst. Es ist besser, einen Kurs nach dem anderen zu jedem Thema exakt zu machen, als mehrere Kurse zu besuchen und sie nicht abzuschließen. Gehe einen Schritt nach dem anderen. Mache nicht mehr, als du tragen kannst und wisse, dass du Fehler begehen wirst, denn das ist Teil der menschlichen Natur.

Lernen ist ein lebenslanger Prozess. Daher sei bereit dein Leben im Lernen zu verbringen. Bete ständig zu Allah, die Dinge für dich zu erleichtern und wisse, dass Er Erleichterung für dich will und nicht Erschwernis.

Ich hoffe, dass ich einige deiner Fragen beantworten konnte.

 

Antwort geprüft und genehmigt von Shaykh Faraz Rabbani

 

Originalquelle: http://seekershub.org/ans-blog/2015/03/15/overwhelmed-and-confused-in-tr...