Datum: 
21.11.2014
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Die Mutter allen Übels: Arroganz und Hochmut

Nachfolgender Text ist eine Übersetzung das neunzehnten Kapitels des Buches "Die Unteilbarkeit von Šarīʿa und Ṭarīqa" von Šayḫ al-Ḥadīṯ Muḥammad Zakariyyā Kandhalwī. Dieses Buch ist eines der letzten Bücher des Autors, welches er kurz vor seinem Verscheiden in Medina diktierte. Es wird von den verschiedenen Zweigen seiner bis heute existierenden Ṭarīqah der Ǧištiyya  zur Inspiration gelesen.

Das Kapitel behandelt die Gefahren der Arroganz, die wahre Demut, die Bessenheit des Selbst und eine sehr lehrreiche Geschichte zum Ende hin und weiteres mehr.

 

Die Gefahren der Arroganz

Eigentlich hatte ich vor verschiedene Themen anzusprechen, und ich dachte über zahlreiche Punkte nach. Seit ich aber in Medina angekommen bin hat sich mein Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Ich war bereits in Indien bettlägerig und hoffte dass sich mein Zustand bessern würde sobald ich in Medina ankommen wäre, jedoch besserte er sich um keinen Deut. Oft schon wollte ich dieses Buch beenden, aber da meine Freunde darauf bestanden änderte ich meine Meinung. Aufgrund meiner Krankheit konnte ich vieles oft tagelang nicht vollenden, und jetzt da es noch schlimmer geworden ist habe ich mich entschieden noch zwei wichtige Punkte zu erörtern und zu einem Ende zu kommen.

Von Beginn an wollte ich Šarīʿah wa Ṭarīqah mit diesen beiden Themen beenden. Ersteres ist die Arroganz, welche die Mutter aller spirituellen Krankheiten ist. Zweites das Herabwürdigen der Gottesfreunde [awliyā Allāh]. Den Ausdruck „Mutter aller spirituellen Krankheiten“ entlehnte ich aus dem Titel des Buches meines Freundes Sufi Iqbāl „Arroganz: Die Mutter aller spirituellen Krankheiten“. Die erste Auflage dieses Buches war kurz nach Erscheinen vergriffen, die Zweite befindet sich soeben im Druck. Eigentlich wollte ich es ihm überlassen über dieses Thema zu schreiben, meine Freunde aber meinten, ein jeder Autor hätte seinen eigenen Stil und es wäre besser wenn ich selbst hierüber schreiben würde.

Vor vielen Jahren schrieb ich bereits in einer Abhandlung, dass es zwei Arten von Sünden gibt; die satanischen Sünden und die bestialische Sünde. Die bestialische Sünde wird durch die Barmherzigkeit Allahs schnell vergeben. Der Ḥadīṯ ist wohlbekannt:

„Wer immer auch von meiner Gemeinde stirbt, ohne Allah etwas beizugesellen, der wird ins Paradies eintreten.“ Ich [Abū Ḏarr] fragte: „O Gesandter Allahs! Sogar wenn er Unzucht treibt und stiehlt?“ Er antwortete: „Sogar wenn er Unzucht treibt und stiehlt!“[1]

Ich belegte die Tatsache, dass es zwei Arten von Sünden gibt mit dem Koran und der Sunna. Allzeit war es meine Angewohnheit, meine Arbeiten meinen Freunden vorzulegen; allen voran Šayḫ ʿAbdurraḥmān und Qārī Saʿīd. Manchmal markieren sie ganze Absätze, ich disputiere mit ihnen, und gebe am Ende dann doch nach. Stets strichen sie alles, was es nicht wert war, publiziert zu werden.

Ich erinnere mich nicht mehr genau welches Manuskript es war, doch sie argumentierten, dass ich die Wichtigkeit der satanischen Sünden nicht ausreichend darlegte, und gleichzeitig bei der Erwähnung der bestialischen Sünden zu nachlässig sei.

Es war mir nicht möglich, diese Themen in meine anderen Bücher einfließen zu lassen, doch ich denke das Thema der Arroganz geziemt diesem Buch, da sie die gefährlichste aller spirituellen Krankheiten darstellt; und dies ist nicht nur meine Meinung, sondern auch im Koran und der Sunna explizit dargelegt. Im Taṣawwuf wird sie als das Vernichtendste erachtet. Imām Ġazālī widmet dieser Angelegenheit ein ganzes Kapitel in seinem Iḥyā ʿUlūm ad-Dīn. Er schreibt:

Allah der Erhabene warnt vor den Gefahren der Arroganz in vielen Versen des Korans. In einem Vers spricht er: „Und ich werde jene, welche auf der Erde ohne jedes Recht hochmütig sind, von meinen Zeichen abwenden.“[2] In einem anderen Vers: „So versiegelt Allah das Herz eines jeden hochmütigen Tyrannen.“[3] In einem anderen Vers: „Wahrlich, er liebt die Hochmütigen nicht.“[4] Und in einem anderen Vers spricht er: „Und euer Herr sagte: „Bittet mich, und ich werde eure Bitte erhören! Wahrlich, jene, welche zu hochmütig sind mir zu dienen, werden [dereinst] gedemütigt in die Hölle eingehen.“[5]

Die üblen Auswirkungen der Arroganz werden wiederholt im Koran genannt. Zusätzlich sagte der Prophet - Allahs Segen und Frieden auf ihm – in einer Überlieferung: „Wer auch nur ein Staubkorn an Arroganz in seinem Herzen trägt, der wird das Paradies nicht betreten.“ In einem anderen Ḥadīṯ überliefert Abū Hurayra - möge Allah mit ihm zufrieden sein -, dass der Prophet - Allahs Segen und Frieden auf ihm – sagte, dass Allah spricht: „Stolz ist mein Schultertuch, und Größe mein Untergewand [izār]. Ich werde einen jeden in die Hölle werfen, der mir diese streitig macht und die Konsequenzen nicht fürchtet.“ In einem anderen Ḥadīṯ sagte der Gesandte Allahs - Allahs Segen und Frieden auf ihm -: „Allah wird einen jeden, der nur ein Staubkorn an Arroganz in seinem Herzen trägt, kopfüber in die Hölle werfen.“[6] In einer anderen Überlieferung sagte der Prophet - Allahs Segen und Frieden auf ihm -: „Eine Person erhöht sich selbst, bis er zu den Skrupellosen [Ǧabbārīn] gezählt wird, und die gleiche Strafe erleiden wird, wie diese.“ In einem weiteren Ḥadīṯ heißt es: „Am jüngsten Tag wird sich ein langer Nacken aus dem Höllenfeuer recken; mit zwei Ohren die hören, zwei Augen die sehen, und einer Zunge die spricht. Er wird sagen: „Drei gehören mir: Der Arrogante, der, der Allah etwas beigesellte, und der, der Bilder anfertigte.“ Der Prophet - Allahs Segen und Frieden auf ihm – sagte ebenso: „Die Hölle und das Paradies hatten eine Unterhaltung. Die Hölle sagte: „Die hochmütigen und üblen Menschen wurden für mich auserkoren.“ Das Paradies sagte: „Die armen, schwachen und unbedeutenden Menschen sind die meinen.“

Ebenso erzählte der Prophet - Allahs Segen und Frieden auf ihm -: „Als Noah auf dem Todesbett lag, rief er nach seinen beiden Söhnen und sprach: „Ich gebiete euch zwei Dinge, und verbiete euch zwei Dinge! Verboten seien euch, Allah etwas beizugesellen und Hochmut!““ Abū Hurayra - möge Allah mit ihm zufrieden sein – überliefert, dass der Gesandte Allahs - Allahs Segen und Frieden auf ihm – sagte: „Die Tyrannen und Hochmütigen werden [dereinst] auf die Größe von Ameisen reduziert, und die Menschen werden sie [am jüngsten Tag] unter ihren Füßen zertreten.“

Imām Ġazālī führte bereits viele Koranverse und Überlieferungen bezüglich dem Übel der Arroganz an. Ich werde noch einige mehr anführen:

Abū Bakr - möge Allah mit ihm zufrieden sein – sagte: „Ich blicke niemals auf einen Muslim herab, denn auch ein kleiner Muslim ist vor Allah groß.“

Ḏahab sagte: „Als Allah den Garten Eden schuf, da sprach er zu ihm: „Du bist jedem Hochmütigen verboten!“

Der Gesandte Allahs - Allahs Segen und Frieden auf ihm – sagte: „[Am jüngsten Tag] wird Allah eine Person nicht ansehen, welche ihr Untergewand aus Hochmut auf dem Boden schleifen ließ.“

Ebenso sagte der Prophet - Allahs Segen und Frieden auf ihm -: „Einst ging ein Mann hochmütig in seine beiden Tücher gewickelt umher, als Allah ihn in die Erde presste; und diese Strafe hat er bis zum jüngsten Tag zu erleiden.“

Miṭraf ibn ʿAbdullāh sah Muhallab hochmütig in einem seidenen Gewand umherlaufen. Da sagte Miṭraf: „O Diener Gottes! Deine Art des Gehens ist bei Allah und seinem Propheten unbeliebt!“ Muhallab antwortete ihm: „Weißt du überhaupt wer ich bin?“ Miṭraf entgegnete: „Ich kenne dich wohl, einst warst du ein Tropfen Samenflüssigkeit, und dereinst wirst du eine rottende Leiche sein. Zwischen diesen beiden Stationen trägst du nichts als Dreck in deinem Bauch umher!“ Da verließ Muhallab sein Hochmut und er ging weg.

ʿUmar ibn al-Ḫaṭṭāb - möge Allah mit ihm zufrieden sein – sagte: „Wenn eine Person demütig ist, so erhebt Allah seine Stufe und spricht zu ihm: „Sei erhöht!“ Doch wenn eine Person hochmütig ist, so erniedrigt er ihn und sagt: „Du bist niederträchtig!“ Sodann erreicht dieser Mensch eine Stufe, in welcher er sehr hoch von sich denkt. Doch er ist der verachtenswerteste aller Menschen und die Menschen erachten ihn als schlimmer als ein Schwein.“

Mālik ibn Dinār sagte: „Würde irgendjemand jemand zu Moschee kommen und rufen: „Ich will, dass der Schlimmste unter euch die Moschee verlässt!“, so schwöre ich bei Allah, dass ihr niemanden die Moschee schneller verlassen sehen würdet als mich!“

Als ʿAbdullāh ibn Mubārak von dieser Aussage Mālik ibn Dinārs hörte, sagte er: „Dies ist, was Mālik einen Mālik [arab. König] machte!“

Mein Freund Sufi Iqbāl schreibt in seinem Buch Akābir kā Sulūk, dass Šayḫ Rašīd Aḥmad Gangohī sagte:

In der Vergangenheit pflegten die Altvorderen ihren Schülern schwere Übungen aufzuerlegen um sie von spirituellen Krankheiten zu reinigen. Die späteren Gelehrten jedoch, vor allem die Altvorderen unserer Lehrtradition [Ǧištiyya], zogen es vor, dass der Schüler so viel Ḏikr macht, dass die spirituellen Krankheiten [der Herzens] von ihm verdrängt werden, und die Auswirkung des Gottesgedenkens [Ḏikr] jeden Aspekt des Lebens durchdringen.

Es gibt viele spirituelle Krankheiten, doch die meisten brachen diese herunter auf zehn, und nannten als Wurzel aller Krankheiten den Hochmut. Wenn diese Krankheit geheilt wird, so vergehen die Restlichen von selbst.

Ein Mann blieb für 20 Jahre bei Ǧunayd al-Baġdādī. Eines Tages sagte er: „Ich bin so viele Jahre bei dir verblieben, doch ich fühle mich, als hätte ich nichts von dir erhalten!“ Dieser Mann war der Anführer seiner Sippe, und Ǧunayd al-Baġdādī bemerkte Hochmut in seinem Herzen. Er sagte: „Hör mir zu, und tue eine Sache. Nimm einen Korb voller Walnüsse, setze dich vor unsere Klause und verkünde: „Wer mich einmal mit seinem Schuh auf den Kopf schlägt erhält eine Nuss, wer mich zwei Mal schlägt erhält zwei Nüsse!“ und so weiter. Tue dies, bis dein Korb leer ist, und dann komm zu mir.“ Der Mann rief: „Lā ilāha illā Allah, Muḥammad rasūlullāh! O Meister, ich kann das nicht tun!“ Da antwortete ihm Ǧunayd al-Baġdādī: „Diese kalimah ist gesegnet. Wer sie spricht, nachdem er sein gesamtes Leben im Unglauben verbrachte, der wird ein wahrer Gläubiger. Doch indem du sie gesagt hast, hast du den Weg der Tarīqah zurückgewiesen. Verschwinde von hier! Von mir wirst du nichts erhalten.“

Nach dieser Begebenheit erzählte Ǧunayd al-Baġdādī von einem anderen Mann, der viele Jahre mit seinem Meister verbrachte. Jener beschwerte sich über den Zustand seines Herzens, und konnte in seinem Selbst keine Besserung feststellen. Der Meister fragte ihn: „Was meinst du mit Besserung?“ Der Mann antwortete: „Dass ich den Segen, welche ich von dir erhalte weitergebe.“ Da belehrte ihn sein Meister: „Dies ist dein Problem; du willst ein Šayḫ werden. Entferne diese üble Absicht aus deinem Herzen, und wisse, dass wir alle verpflichtet sind Allah gegenüber für all seine Gnaden dankbar zu sein. Jene, welche sich spirituellen Übungen und Ḏikr auf diese Art [d.h. um selbst Šayḫ zu werden] hingeben, sind närrisch. Ihre Absicht ist verdorben. Wie also soll ein solcher Mensch Nutzen erlangen und Belohnung? Seine bloße Existenz, und hiernach seine Augen, seine Nase, seine Ohren, seine Zunge und seine fünf Sinne, all das hat Allah ihm gewährt. Wir müssen unserer Verpflichtung ihm gegenüber nachkommen, bevor wir über anderen Nutzen oder Lohn [überhaupt] nachdenken.

 

Die Täuschungen des Teufels

Da der Weg der Tarīqah der Weg der Erlösung und des Erfolges ist, versucht der Satan die Bemühungen und das Fortschreiten eines jeden auf diesem Weg zu vereiteln. Er hindert den Suchenden auf dem Weg nicht, wenn er viel betet, gottesfürchtig ist, sich von Sünden fernhält oder dergleichen. Stattdessen legt er den Samen des Hochmuts in sein Herz und pflegt ihn. Auf diese Weise sind all seine Gottesfurcht und all seine guten Taten verschwendet. In Ikmāl aš-Šiyām steht geschrieben:

„Wer immer auch behauptet demütig zu sein, ist in Wahrheit hochmütig. Denn man kann nur Demut behaupten, wenn man die Erhabenheit seines Ranges gesehen hat.

Wenn er nun behauptet demütig zu sein, so ist es, als hätte er seine Größe betrachtet; und deshalb ist er hochmütig.“

 

Wahre Demut

Zusammenfassend ist die wahre Demut derart, dass man sich selbst als derart elend erachtet, dass einem der Gedanke über die eigene Stufe niemals in den Kopf kommt. Man erachtet sich selbst, von Kopf bis Fuß, als verachtenswert. Wenn eine Person wahrhaft derart fühlt, so wird er niemals irgendwelche Behauptungen aufstellen; weder wird er seine Demut behaupten,  noch irgendeine andere rechtschaffene Eigenschaft. Denn ein solcher Anspruch würde bedeuten, dass er sich selbst in einem hohen Rang sieht.

In Wahrheit bedeutet Demut nicht, sich selbst als demütig zu erachten oder erniedrigende Taten zu tun. Die meisten Menschen denken, dass eine jede Tat der Gottesfurcht oder Demut beweist, dass dein Mensch demütig ist. Wenn zum Beispiel ein Reicher einem Armen hilft, so sagen die Menschen: „Was für ein demütiger Mann!“; dabei ist jener äußerst arrogant. Dies ist was der Autor [von Ikmāl aš-Šiyām]erklärt: Der Weg Demut von Hochmut zu unterscheiden, liegt nicht darin, nach demütigen Taten Ausschau zu halten, vor allem dann nicht, wenn man sich selbst als zu gut für eine solche Tat erachtet. Wenn beispielsweise jemanden von seinem Stuhl aufsteht um sich auf den Teppich zu setzen, und sich eigentlich als zu wichtig erachtet auf einem Teppich zu sitzen, weil er glaubt dass ihm der Stuhl gebühren würde, so ist jener arrogant. Eine wahrhaft demütige Person sitzt auf dem Teppich, und erachtet sich selbst nicht einmal als würdig, auf dem Teppich zu sitzen; tatsächlich ist er davon überzeugt, dass er auf den bloßen Boden zu sitzen hätte. Ein weiteres Beispiel: Er spendet einem Armen Geld, und fühlt sich geehrt, dass jener sein Geschenk akzeptierte, obgleich es der Akzeptanz unwürdig ist. Dies ist ein Zeichen wahrhaftiger Demut.

Obgleich ich wünschte, ich könnte noch mehr über dieses Thema schreiben, da die Diskussion sehr langwierig ist, bin ich gezwungen mich aufgrund meiner Krankheit kurz zu halten. Die Krankheit des Hochmutes ist gefährlich in der Šarīʿah, aber noch gefährlicher in der Ṭarīqah. Ich habe gesehen, dass es die Angewohnheit der Altvorderen war, dass sie ihren Schülern keine Nachfolgerschaft gewährten, wenn diese auch nur einmal daran dachten; obgleich die Schüler ihre nisba zu Allah erlangt hatten. Ebenso warnten sie einen jeden ihrer Schüler, der nach dem Erhalt der Nachfolgerschaft Anzeichen des Hochmutes zeigte. Wenn ein solcher Student seinen Zustand berichtigte, dann schön und gut; andernfalls entzogen sie ihm die Nachfolgerschaft wieder. Ich habe viele Menschen gesehen, die die Nachfolgerschaft der größten unserer Altvorderen antraten, die viel Ḏikr machten und sich hingaben, und aufgrund ihres Hochmuts fielen. Wahrlich, wenn einem die Nachfolgerschaft gewährt wurde, so muss man sich vor dem Hochmut noch mehr hüten; und auch wenn einem die Nachfolgerschaft nicht entzogen wird, so erreichen dann nur wenige Schüler ihre Nisba mit Allah, und die Silsilah kann nicht fortgeführt werden. Möge Allah durch seine Gnade und Barmherzigkeit meine Freunde und mich vor dieser gefährlichen Herzenskrankheit beschützen. Es ist wahrlich eine gewichtige Angelegenheit.

Obgleich die Arroganz tödlich ist, so ist sie nicht die einzige gefährliche Krankheit des Herzens. Alle spirituelle Krankheiten sind gefährlich, und man muss Acht geben nicht einer von ihnen zum Opfer zu fallen. Die Selbstgefälligkeit [ʿuǧb] muss ebenfalls vermieden werden, da sie nicht weniger gefährlich ist, als der Hochmut. Die Prophetengefährten litten in der Schlacht von Ḥunayn aufgrund ihrer Selbstgefälligkeit, da der Prophet - Allahs Segen und Frieden auf ihm – selbst an dieser Schlacht teilnahm und an vorderster Front stand. Die Begebenheit der Schlacht von Ḥunayn wird zu Beginn von Sūra at-Tawba erzählt, und in Bayān al-Qurʾān zusammengefasst. Allah der Erhabene spricht:

„Wahrlich, Allah hat euch auf vielen Schlachtfeldern zum Sieg verholfen, und am Tag von Ḥunayn als ihr euch an eurer großen Anzahl erfreutet. Doch sie half euch nichts, und die Erde wurde euch in ihrer Weite eng, woraufhin ihr in Flucht den Rücken kehrtet. Danach schickte Allah seine Glückseligkeit [sakīnah] auf die Gläubigen herab, und er sandte [zu eurer Unterstützung] Truppen, ihr nicht gesehen habt, und bestrafte die Ungläubigen. Derart ist der Lohn der Ungläubigen.“[7]

Im Krieg gegen die Apostaten sprach Ḫālid ibn Walīd - möge Allah mit ihm zufrieden sein -, dass den Menschen aufgrund ihrer Äußerungen Drangsal und Beschwernis zuteil werde. Die erste Schlacht gegen die Apostaten wurde gegen den falschen Propheten Ṭulayḥa al-Asadī geführt. Viele von Ṭulayḥas Anhängern wurden getötet, doch die meisten flohen; auch Ṭulayḥa selbst. Dies verlieh dem Selbstvertrauen der Muslime großen Aufschwung, und danach mussten sie gegen den falschen Propheten Musaylima ins Feld ziehen, welcher sich als erbittert unermüdlich erwies. Die Anzahl der Muslime, welche in der Schlacht von Mūta getötet worden waren, war ebenso groß wie die Anzahl der Apostaten. Ḫālid ibn Walīd war der Befehlshaber der muslimischen Armee, er sagte:

„Als wir mit Ṭulayḥa fertig waren, und gesehen hatten, wie schwach und feige er war, da kam mir folgender Satz über die Lippen: „Wer sind schon die Banū Ḥanīfa[8]? Sie sind nicht besser, als die Versager mit denen wir eben zu tun hatten.“ Und die Beschwernis befällt uns aufgrund unserer eigenen Worte. Sie kämpften standhaft von Sonnenaufgang bis zum Nachmittag gegen uns.“

Ḫālid - möge Allah mit ihm zufrieden sein – erkennt an, dass es seine Worte waren, die die Lage erschwerten. Ebenso warnten die rechtgeleiteten Kalifen ihre Armeen wenn sie Siege errangen allzeit, sich vor Selbstgefälligkeit zu hüten. Ich habe viele Begebenheiten dieser Art in al-Iʿtidāl erwähnt.

Weiterhin liebt Allah die Demut, welche auch ein herausragender Wesenszug aller Propheten und Gottesfreunde war. Als die Verkörperung der vollkommenen Demut, der gesegnete Prophet - Allahs Segen und Frieden auf ihm – Mekka am Tage der Eroberung betrat, da senkte er sein Haupt so tief, dass es den Sattel seines Reittiers berührte. Aufgrund dieser Demut wurden die ärgsten Widersacher des Propheten - Allahs Segen und Frieden auf ihm – zu seinen hingebungsvollen Gefolgsleuten. Sie erkannten, dass der Prophet - Allahs Segen und Frieden auf ihm – eine Barmherzigkeit und ein Symbol der Liebe Allahs war. Er kämpfte weder um Land, noch um Macht, sondern kam lediglich um uns die Gnade des Glaubens [ʾīmān] und des Islams zu überbringen.

Šayḫ Ḥusayn Madanī schreibt in Asīrān-i-Mālta:

Šayḫ al-Hind Maḥmūd al-Ḥasan liebte die Gesellschaft des armen, gemeinen Volkes. Er wünschte stets seine Gewohnheiten, seine Kleidung und seine Lebensführung an die der armen Menschen anzugleichen, und fürchtete die weltlichen, reichen und pompösen Menschen. Es war in Gesellschaft der Schüler der Madrasah und zog das Sitzen in den Wägen der dritten Klasse bei seinen Bahnreisen vor, obgleich er sehr auf Reinlichkeit achtete. Während seiner Reisen trug er stets Kampfer bei sich, da ihn die Gerüche und die schmutzige Kleidung des gemeinen Volkes störten. Er liebte es, an Parfümölen, vor allem an Rosenöl, zu riechen. Ebenso liebte er die Einfachheit, und die Gemeinschaft mit einfachen Menschen; und verabscheute Formalitäten und Oberflächlichkeit. Allzeit zitierte er Šayḫ Qāsim Nānautwī, welcher sagte: „Die öffentlichen Badehäuser sind auch ein Segen. Und obgleich die Badezimmer der Reichen wohlriechend und sauber sind, so sind sie doch in Wahrheit eine Abscheulichkeit.“

 

Die Besessenheit des Selbst

Das Selbst [nafs] ist von seiner eigenen Größe besessen. Sein Verlangen sich selbst als Mittelpunkt der Schöpfung zu sehen, ist der Grund allen Übels und der Grund hinter dem Niedergang des Diesseits und des Jenseits eines Menschen. Aus diesem Grund pflegten die Altvorderen diesen Drang des Selbst zu brechen, welches nach Lob und Eigenwichtigkeit sucht. Sie bemühten sich Wege und Zustände zu finden, durch welche jener Wunsch ihres Selbst unterdrückt und vernichtet wird, vor allem in der Öffentlichkeit.

Der Fäulnisgeruch der physisch wahrnehmbaren Dinge ist nichts, verglichen mit den Fäulnisgerüchen der spirituellen Unreinheit. Die Notdurft zu verrichten steigert gar noch die Eigenwichtigkeit der Reichen[, aufgrund den Annehmlichkeiten und Wohlgerüchen ihres Badezimmers,] wohingegen die Demut und Zufriedenheit des Selbst unter dem gemeinen Volk steigt[, wenn sie ihre Notdurft verrichten.] Es erinnert den Menschen an seine eigentliche Realität. Wenn dies der Zustand unseres Innersten ist, so fällt es nicht schwer dies auch auf alles andere zu übertragen, wie unseren Besitz, unseren Umgang mit anderen, etc.

Die Rechtsgelehrten schreiben, dass es vorzüglicher ist die Gebetswaschung an einem seichten Becken[, welches innerhalb mancher Moscheen zu finden ist,] zu vollziehen, da es den Muʿtaziliten entgegensteht; obgleich nirgendwo geschrieben steht, dass die Muʿtaziliten sich jemals gegen die Gebetswaschung an solch einem seichten Becken aussprachen.

Soweit ich es zu verstehen vermag, erniedrigt die Gebetswaschung an solch einem seichten Becken das Selbst, da man seinen Mund am gleichen Ort ausspült, an dem ein anderer zuvor noch seine Füße gewaschen hat. Dies ist der Grund, warum Menschen mit einem Selbst, welches das schlechte befiehlt [an-nafs al-ammāra bi-l-sūʾ], und die Weltlichen, es widerlich finden an einer öffentlichen Wasserstelle ihre Gebetswaschung zu vollziehen. Vielleicht ist dies der Grund hinter dem Vorzug der Gebetswaschung an solch seichten Becken.

In Wahrheit suchten beide, Šayḫ Qāsim Nānautwī und Šayḫ al-Hind stetig nach Möglichkeiten sich selbst zu erniedrigen, ihr Ego zu unterdrücken um wahre Demut in ihrem Selbst zu errichten. Sie mieden Orte an denen Arroganz, Eitelkeit, Ruhm, oder Selbstgefälligkeit gepflegt wurden, da sie diesen Übel sonst leicht selbst zum Opfer fallen hätten können; sie sprachen nicht nur abwertend von sich selbst, so wie wir es tun. Wir sagen [auf Urdu] kamtarīni ḫalāʾiq [der Übelste der Schöpfung], nābkār [nutzlos], nangī ḫalāʾiq [der Niedrigste der Schöpfung], und schreiben diese Titel uns selbst zu. Doch dies ist nichts als Scheinheiligkeit und Frömmlerei, da diese Ausdrücke in keinem Verhältnis zum Zustand unserer Herzen stehen. In Wahrheit denken wir das Gegenteil, nämlich das unser Zustand hamm ǧuman dīgri naist ist. [Wir sind alles, außer uns existiert nichts].

Da dem so ist, suchen wir die Fehler anderer, kritisieren sie, lästern über sie. Hören wir Lob unserer Zeitgenossen über unsere eigene Person, so entfacht sich in unseren Herzen ein Feuer, und wir beginnen in ihnen nach Fehlern zu suchen, und sie vor anderen zurechtzuweisen. Wir sind aufgebracht, wenn uns jemand als ungebildet bezeichnet, als nutzlos, als Esel, Hund oder Schwein. Wären wir wahrhaftig in unseren Aussagen, wie etwa kamtarīni ḫalāʾiq [der Übelste der Schöpfung], so wären wir doch nicht aufgebracht wenn man uns als Hund oder Schwein betiteln würde. Denn auch sie gehören zur Schöpfung, oder etwa nicht?

Oft schon habe ich Schwierigkeiten erlebt, und zwar nicht für Dinge die ich sagte, sondern aufgrund von hochmütigen und eitlen Gedanken die mir durch den Kopf gingen.

 

Die Probleme, die hochmütige Gedanken uns bringen

Im Jahre 1382/1961 zerstörte ein Aufstand der Studenten in Maẓahir al-ʿUlūm[9] gänzlich mein Verlangen zu unterrichten, und ich habe hiernach nie mehr Unterrichte gehalten. Die Anführer jenes Aufstandes nutzen alle Wege um die Schule schließen zu lassen, sie logen, schworen falsche Eide, und betrogen die Menschen. Ich bin fest von der Maxime „Was dich an Schlechtem trifft, ist die Frucht deiner üblen Taten“[10] überzeugt. Unsere eigenen Sünden sind die Wurzel aller Heimsuchungen die wir in dieser Welt zu erleiden haben, obgleich die Gründe dieser Welt vielleicht auf anderes schließen lassen; wie Ḫalid ibn Walīd - möge Allah mit ihm zufrieden sein – sagte: „Die Beschwernis befällt uns aufgrund unserer eigenen Worte. Im Folgenden einige Tatsachen des Aufstandes, die mir erst viel später klar wurden:

  1. Ungefähr eine Woche vor den Aufständen wurde das Thema Protest und Aufstand in einer Klasse thematisiert, und der Lehrer sagte: „In Maẓāhir kann es niemals einen Aufstand geben!“
  2. Der Samen des Aufstandes wurde in einem der Lehrgebäude gesät. Ein Ungläubiger sagte du einem der Studenten: „Wenn ihr Studenten euch vereint, so können weder die Lehrer, noch die Schule, irgendetwas ausrichten.“ Dieser Student war es dann, der, nachdem die Schule geschlossen war, alle Studenten am Tor sammelte und eine feurige Rede hielt. Als ich dies in jenem Morgen erfuhr, wandte ich mich sofort an den Schulaufseher um ihm die Dringlichkeit der Lage bewusst zu machen. Er spielte jedoch alles herunter und meinte nur: „Sorge dich nicht, er kann überhaupt nichts ausrichten. Ich werde gehen und ihn zurechtstutzen.“ Abermals versuchte ich ihm die Dringlichkeit der Lage darzulegen, doch er blieb starrsinnig und nahm die Angelegenheit auf die leichte Schulter.
  3. Als der Aufstand an Stärke gewann, und sich zu den Hauptgebäuden der Schule aufmachte, hielten wir [d.h. Vorstandsmitglieder der Schule] eine Notfallsitzung, und ich behauptete: „Nicht ein Student des Abschlussjahres ist in jene Aufstände verwickelt!“[11] Der stellvertretende Leiter der Schule sagte nur leise: „Haḍrat, es sind auch Studenten des Abschlussjahres involviert.“ Dieser Narr [der Autor bezieht sich hier auf seine eigene Person] wiederholte seine Aussage noch eindringlicher und sagte: „Es ist unmöglich, dass irgendein Student des Abschlussjahres in diesen Aufstand verwickelt ist!“

Später erfuhren wir, dass beinahe alle Studenten des Abschlussjahres in jenen Aufstand verwickelt waren. Noch schockierender für einen jeden von uns war, dass einer der Studenten, die mir am nächsten standen, und der auch Gehilfe des stellvertretenden Schulleiters war, eine große Rolle in diesem Aufstand spielte, und wir mit ihm bezüglich dieser Angelegenheit vertraut umgingen.

Ich war fest davon überzeugt, dass kein Student aus dem Abschlussjahr sich an jenen Aufständen beteiligen würde, da ich sie stets an die Erhabenheit ihrer Stellung erinnerte, sie daran erinnerte, dass sie Stellvertreter des noblen Gesandten - Allahs Segen und Frieden auf ihm – seien, und dereinst die Führer der Muslime. In jedem meiner Buḫārī-Unterrichte machte von Anbeginn jenen Jahres an darauf aufmerksam, und dachte in meiner Naivität, dass sie die Botschaft aufgenommen hätten. Als ich dann schlussendlich bemerkte, dass beinahe ein jeder Student des Abschlussjahres in die Aufstände verwickelt war, kam mir folgendes Gedicht über die Lippen:

Warum richtet nicht jener, der der Erfüllung seines Verlangens beraubt ist,

seinen Blick in die schlafenden Himmel,

sodass er sich selbst an jeder Stufe versagen sieht?

Sogar wenn mir heute Szenen dieses Aufstandes in den Sinn kommen, erachte ich es als Produkt meines eigenen Versagens. Hätte ich auch nur ein klein wenig Aufrichtigkeit besessen, so hätte sich dies auf meine Schüler ausgewirkt. Wenn uns vor jenen Aufständen Studenten von Protesten oder Krawallen an anderen Lehreinrichtungen berichteten, und ihre Misshandlungen schilderten, führten wir stets mit ihnen. Nach den Krawallen in Maẓāhir liegt mein ganzes Mitgefühl nun jedoch stets beim Lehrpersonal und der Führung. Dieser Aufstand in Maẓāhir hinterließ eine hässliche Narbe auf meinem Herzen. Möge Allah mich vor diesem Hochmut schützen, vor der Mutter allen Übels, welche auch die Besten Menschen zu Fall bringen kann.

 

Arroganz und Hochmut verwüsten das Herz fürchterlich

Ich sah viele große Meister der Vergangenheit aufgrund von Hochmut fallen, und die Geschichte von Abū ʿAbdullāh al-Andalūsī ist so tief in meine Seele gebettet, dass sie normalerweise immer den Weg in meine Schriften findet. Ich wünsche mir, dass alle Schüler dieses Weges, und alle die am Taṣawwuf interessiert sind sie zu einer Mahnung ihrer selbst machen, und ihr Beachtung schenken. Šayḫ Abū ʿAbdullāh al-Andalūsī war einer der frühen Meister des Taṣawwuf. Viele Klausen und Schulen unterstanden ihm, und in Taṣawwuf und Šarīʿah zählte er Tausende Schüler. Das folgende Ereignis betrug sich zweihundert Jahre nach dem Tod des ehrenwerten Propheten - Allahs Segen und Frieden auf ihm -, in welcher die Auswirkungen dieses goldenen Zeitalters immer noch sichtbar waren. Es wird überliefert, dass er zwölftausend Schüler hatte. Einst begab er sich von großen Meistern, wie Ǧunayd al-Baġdādī und Šiblī, begleitet auf eine Reise. Imām Šiblī überliefert:

Unsere Karawane bewegte sich durch die Gnade Allahs friedlich voran. Sodann erreichten wir ein christliches Dorf. Es blieb nur wenig Zeit zum Gebet, und es war uns nicht möglich Wasser im Dorf zu finden. Am Rande des Dorfes lag ein kleiner Brunnen, an welchem sich einige Mädchen versammelt hatten um Wasser in ihre Schläuche zu füllen. Der Zustand des Šayḫs veränderte sich in dem Moment, da er eines dieser Mädchen erblickte. Er senkte sein Haupt, hörte auf zu Essen und zu trinken, und sprach für drei Tage mit niemandem.

Wir wurden zunehmend besorgt und fürchteten um sein Wohlergehen. Am dritten Tag nach ich all meinen Mut zusammen und fragte ihn:

„O Šayḫ, Tausende deiner Schüler sorgen sich um deinen Zustand. [Was ist mit dir?]“

Der Šayḫ wandte sich einem jeden zu und sprach:

„O meine Freunde, wie lange noch soll ich meinen Zustand vor euch verbergen? Ich sah eines dieser Mädchen und die Liebe hat mich übermannt. Meine Liebe zu ihr hat jedes Glied meines Körpers durchdrungen, nun kann ich diesen Ort niemals wieder verlassen.“

Ich antwortete:

„O Šayḫ, du bist der Šayḫ des Irak, bist bekannt für deine Enthaltsamkeit, deine Gottesfurch und deinen Reichtum an Wissen. Du hast über zwölftausend Schüler. Beim Koran, ich bitte dich, entehre uns, und einen jeden hier nicht!“

Der Šayḫ antwortete:

„O mein Freund, dein Schicksal, und mein Schicksal sind von Allah vorgezeichnet. Allah nahm seine Leitung von mir, und hob das Geschenk der Nähe zu ihm von mir!“

Als er dies sagte begann er bitterlich zu weinen uns sprach:

„O meine Leute, mein Schicksal hat sich erfüllt, nichts liegt mehr in meiner Macht.“

Wir waren von seinen Worten schwer getroffen und weinten aus Kummer, Qual und Schmerz bitterlich. Unser Šayḫ weinte mit uns, und bald schon war der Boden feucht von unseren Tränen. Danach blieb uns nichts, als nach Bagdad zurückzukehren. Die Schüler des Šayḫs in Bagdad waren am Boden zerstört, als sie vom Zustand ihres Meisters hörten. Einige starben gar vor Kummer und Bestürztheit. Die meisten jedoch begannen Allah anzuflehen: „O Wender der Herzen, leite unseren Šayḫ und führe ihn auf seinen Rang zurück!“

Hiernach wurden alle Klausen geschlossen, und ein Jahr in Kummer und Pein verging ohne unseren Meister. Schlussendlich beschlossen wir, eine Reise zu jenem Dorf zu unternehmen um den Zustand und das Befinden unseres Šayḫs zu erfahren. Als wir das Dorf erreichten fragten wir nach dem Aufenthaltsort unseres Meisters, und man sagte uns, dass er im Wald die Schweine hüte. Wir waren schmerzerfüllt, [und fragten:] „O Allah, was widerfährt unserem Meister?“ Die Dorfbewohner erklärten: „Der Šayḫ wollte sich mit der Tochter unseres Vorstehers verloben. Ihr Vater akzeptierte eine Verlobung nur unter diesen Bedingungen.“ Wir waren gramgebeugt, untröstlich und hätten in Kummer, Schmerz und Sorge ertrinken können. Tränen strömten über unsere Gesichter, und wir konnten unsere Gefühle kaum zügeln, als wir uns auf den Weg in den Wald machten, wo unser Šayḫ die Schweine hütete. Dann erblickten wir unseren Meister. Er trug eine Christenkappe und eine Kordel an um seine Hüfte. Sein Blick ruhte auf den Schweinen, und er lehnte auf seinem Stock, auf welchen er sich bei Predigten und Ansprachen stets aufgestützt hatte. Dieser Anblick war wie Salz in unseren offenen Wunden. Als er sah, wie wir uns ihm näherten, senkte er sein Haupt. Als wir uns in Hörweite befanden, grüßten wir ihn mit: „As-salāmu ʿalaykum“ Er erwiderte sanft: „wa ʿalaykum as-salām.“ Ich sprach zu ihm:

„O Meister, Sieh dich an, mit all deinem Wissen, deinem hohen Rang den du innehattest, den Aḥadīṯ und dem Koran.“

Der Šayḫ antwortete:

„O meine Brüder, ich bin nicht Herr über mich selbst. Mein Schöpfer verfuhr mit mir nach seinem Willen, nachdem er mich so nah zu ihm gebracht hatte, warf er mich von der Schwelle seiner Tür. Wie kann jemand meiden, was ihm vorherbestimmt ist? O meine Freunde, fürchtet den Zorn Gottes, und werdet nie hochmütig aufgrund eures Wissens und eures Ranges!“

Dann wandte er seinen Blick gen Himmel und sagte:

„O mein Herr [Mawlā], niemals hätte ich gedacht, dass du mich von deiner Tür stoßen würdest!“

Als er dies sagte begann er zu einen, flehte Allah um Leitung an und sagte zu mir:

„O Šiblī, lerne von anderen!“

Ich weinte und betete: „O du, der du uns erhältst und versorgst, niemanden bitten wir um Hilfe, außer dir, jegliches Vertrauen legen wir in dich! Ich bitte dich, nimm diese Prüfung von uns, niemand außer dir hat die Macht hierzu!“

Die Schweine quiekten, während sie unser Weinen und Flehen hörten. Auch unser Meister weinte und schluchzte. Ich fragte ihn:

„O Šayḫ, du warst einst ein Bewahrer [Ḥāfiẓ] des Koran, und vermochtest ihn auch sieben Arten zu lesen. Erinnerst du dich noch an etwas?“

Er antwortete:

„Ich erinnere mich an nichts, nur zwei Verse sind mir geblieben:

„Und wen immer Allah erniedrigt, dem kann niemand Ehre erweisen. Wahrlich, Allah tut was immer er möchte.“[12]

Und: „Und der, der den Glauben gegen den Unglauben tauscht, wahrlich, dieser ist vom rechten Weg abgewichen!“[13]

Ich fragte weiter:

„O Šayḫ, dereinst kanntest du dreißigtausend Überlieferungen des Propheten, samt ihren Überlieferungsketten, und du vermochtest dich allzeit an sie zu erinnern. Erinnerst du dich an einige dieser Aussprüche?“

Er antwortete:

„Ich erinnere mich nur an einen einzigen Ḥadīṯ:

„Wer immer auch seine Religion ändert, tötet ihn! [man yadalla dīnahu fāqtulūhu!][14]

Hiernach kehrten wir nach Bagdad zurück. Wir waren noch nicht weit gereist, als wir unseren Šayḫ am dritten Tag plötzlich an ein Flussufer heraufsteigen sahen, nachdem er ein Bad genommen hatte. Laut rief er das Glaubensbekenntnis aus:

„Ašhadu an lā ilāha illa Allahu, wa ašhadu anna Muḥammada rasūlu-llah!“

Nur jener, der unseren Schmerz und Kummer gefühlt hat, kann die Freude die uns in diesem Moment durchströmte nachvollziehen. Hiernach fragten wir unseren Šayḫ:

„Gab es irgendeinen bestimmten Grund hinter alldem?“

Unser Šayḫ antwortete:

„Ja, als wir bei diesem Dorf halt machten, und wir an all den Kirchen und Tempeln vorüberkamen, sah ich die Feueranbeter und Christen, wie sie Gott etwas beigesellen. Ich wurde hochmütig und dachte bei mir: „Wir sind die wahren Gläubigen, und glauben an den einen Schöpfer. Sie dir diese unwissenden und dummen Menschen an, wie sie leblose Dinge anbeten.“ In diesem Moment vernahm ich eine Stimme aus dem Verborgenen, die sprach:

„Dein Glaube und deine Überzeugung an die Einheit Gottes entspringt nicht deinen eigenen Bemühungen, sondern unserem Willen. Denkst du, dass wir dir den Glauben schenken, auf dass du auf andere hinabsehen kannst? Wenn du möchtest, können wir dir in diesem Moment beweisen[, dass der Glaube unserem Willen untersteht.]“

Im selben Augenblick noch, fühlte ich mich als würde ein Vögel aus meinem Herzen fliegen, welcher in Wahrheit mein Glaube [ʾīmān] war.“

Der Hauptgrund, wieso ich diese Geschichte hier erzählte, ist, dass ihr letzter Teil uns zeigt, dass der Grund für die Leiden des Šayḫs, der Grund für den Verlust seines Glaubens Hochmut war. Diese Geschichte ist auch in Āp Bītī[15] und Akābir kā Sulūk von Sufi Iqbāl nachzulesen. Ḥakīm Ilyās verfasste ein ganzes Buch, welches auf dieser Geschichte aufbaut. Es trägt den Titel Šayḫ Andalūsī kā aik ʿaǧīb aur ġarīb ʿibratnāk wāqiʿa. Die Hochmut, der Stolz und die Arroganz sind so gefährlich, dass sie gar die Altvorderen der Altvorderen zu Fall brachten. Möge Allah uns durch seine Gnade und Barmherzigkeit vor dieser todbringenden Krankheit schützen. ʾĀmīn.

 

[1] Buḫārī, man aǧāba bi labbaika wa ṣaʿdayka

[2] 7:146

[3] 40:35

[4] 16:23

[5] 40:60

[6]

[7] 9:25-26

[8] Der Stamm Musaylimas

[9] Eine der Schulen, welche von den frühen Gelehrten Deobands in Sahāranpur, Indien, gegründet wurde.

[10] 4:79

[11]Die Studenten des Abschlussjahres wurden von Šayḫ al-Ḥadīṯ Muḥammad Zakariyyā, dem Autor dieses Buches, in den Büchern des Ḥadīṯ unterrichtet.

[12] 22:18

[13] 2:108

[14] Abū Dawūd, al-ḥukm fī man irtadda

[15] Auf den letzten Seiten des Buches, in längerer, ausführlicher Form nachzulesen.

Übersetzt von: Matthias B. Schmidt