Datum: 
31.03.2015

Die inneren Aspekte der Anbetung

Von Mansoor Ahmed

Der Mensch neigt dazu, sich zu binden. Als Menschen haben wir das Potential, uns sehr leicht körperlich und emotional einzusetzen, und schaffen so eine Verbundenheit mit dem, was um uns herum ist. Es kann die Bindung zu materiellen Dingen sein, zu Menschen in unserem Leben, zu unserer Arbeit oder nahezu allem Möglichen. Diese Bindungen müssen nicht unbedingt negativ sein, und sind auch nicht von Grund auf schlecht – schließlich sind sie Teil der menschlichen Erlebniswelt. Wie bei fast allem kann zu viel von einer Sache schädlich sein. Dies ist der Grund, warum wir Menschen beobachten, deren Leben sich um ihre Arbeit, irgendjemanden oder etwas dreht, das sie lieben, und die sich das aktuellste Handy oder die neueste Kleidung zulegen, nur um für eine kurze Zeit glücklich zu sein – und das ist die Zeit genau nachdem sie erhalten haben, was sie wollten –, um dann das Interesse und die Wertschätzung zu verlieren, sobald die nächste Version erscheint oder auch nur angekündigt wird.

Wie können wir uns also davor schützen, in solch einem spirituell zerstörerischen Teufelskreis gefangen zu sein? Wir sehen, dass Allah (gepriesen und erhaben ist Er) im Islam – nachdem Er uns erlaubt hat, die überwiegende Mehrheit der Dinge in der Welt als Gaben zu genießen – über unsere Gottesdienste (‘Ibadah) gewisse Kontrollen in unserem Leben angebracht hat, um uns anzuleiten. Wenn wir diese gottesdienstlichen Handlungen richtig anwenden, hindern sie uns daran, von irgendeiner anderen Sache außer Ihm versklavt zu werden, und darin liegt wahre spirituelle Freiheit.

Unsere fünf täglichen Gebete sind ein Weg, um übermäßige Bindung an alles Materielle einzudämmen. Die fünf Gebete regeln unser Leben durch ihre spezifische Zeiteinteilung, um uns zu lehren, dass Allah gewiss größer ist als alles andere, womit wir in diesem Moment beschäftigt sein könnten. Das Morgengebet lehrt uns, dass die Dinge, die uns am liebsten sind, Gemütlichkeit und Schlaf, uns nicht beherrschen sollen – und so stehen wir am kalten Morgen auf, waschen uns und beten in Anerkennung dessen, dass Allah größer ist als unsere Liebe zu Gemütlichkeit und Schlaf. Das Mittags- und das Nachmittagsgebet lehren uns, egal wie sehr wir in die Arbeit vertieft sind oder die kurze Mittagspause, die wir so sehr schätzen, dass diese Dinge nicht der Zweck unseres Daseins sind. Darum lassen wir sie für ein paar Minuten, richten uns auf, beten und bezeugen, dass Allah wahrlich größer ist. Freitags widmen wir die meiste, wenn nicht sogar die gesamte Zeit unserer Mittagspause der Teilnahme an der Freitagspredigt und dem Freitagsgebet. Zur Zeit des Abendgebets, wenn wir schließlich zu Hause sind und Zeit mit unserer Familie verbringen, zu Abend essen oder uns einfach nur entspannen möchten – richten wir uns auf, beten gemeinsam und bestätigen, dass Allah größer ist als all dies. Zu guter Letzt das Nachtgebet: Wenn wir nach einem langen Tag voller Arbeit und Verpflichtungen erschöpft sind und bereit, uns ins Bett fallen zu lassen und zu schlafen, beten wir erneut und beweisen, dass die Hingabe an Allah größer ist, als ins warme Bett zu fallen. All dies dient uns als ständige Erinnerung daran, dass wir, so sehr wir das Leben auch lieben, für einen höheren Zweck leben. Umgekehrt bewahren uns diese spirituellen Kontrollpunkte, wenn wir einen schlimmen Tag haben, vor einer fatalistischen Sichtweise und dienen uns als Erinnerung daran, dass es immer etwas Wichtigeres gibt und unsere Probleme nicht dauerhaft sind.

Im Gebet rezitieren wir überdies den Qur'an, der – sofern wir wirklich verstehen, was wir lesen – nur positiv zu unserem spirituellem Wohlbefinden beiträgt. Imam ash-Shatibi schreibt über die Rezitation des Qur'ans in seinem Gedicht ‚Hirz al-Amani‘ über den spirituellen Zustand der Person, die den Qur'an rezitiert. Er sagt, dass eine Person, die mit dem Qur'an verbunden ist und aufrichtig darin ist, im Geiste wahrhaft frei ist. Die Beschäftigung mit dem Qur'an, ihn zu rezitieren, seine Bedeutungen zu lernen, über seine Frohbotschaften und seine Warnungen nachzusinnen, alles gepaart mit der Aufrichtigkeit, Allah (gepriesen und erhaben ist Er) zufriedenstellen zu wollen – all dies hält diese Person davon fern, sich übermäßig an weltliche Dinge zu binden, bis sie schließlich ihren Herrn trifft.

Ebenso lehren uns die übrigen drei Säulen eine ähnliche Lektion: Wenn wir im Monat Ramadan von Morgendämmerung bis Sonnenuntergang fasten, ohne einen Tropfen Wasser oder einen Bissen Brot zu uns zu nehmen, insbesondere an den langen, heißen Sommertagen, so lehrt uns dies, unsere Bindung an Essen und Trinken aufzuheben. Indem Er das, was normalerweise erlaubt ist, für eine kurze Zeit für verboten erklärt, lehrt uns Allah, unsere niederen Triebe, Wünsche und Begierden unterzuordnen und uns stattdessen auf unser spirituelles Wohlbefinden zu fokussieren. Man verspürt ein tiefgreifendes Gefühl von Freiheit und innerer Stärke, wenn man fastet – Freiheit von der Versklavung nicht nur durch Essen, Trinken oder eheliche Beziehungen, sondern auch frei zu sein von der inneren Begierde, sich zufriedenzustellen, die uns allen innewohnt. Diese Freiheit hebt uns empor und nähert uns dem Zustand der Engel an, die frei sind von diesen Begierden.

Die Zakah (Almostensteuer) lehrt uns, frei zu sein von unserer Bindung an finanzielles Vermögen. Indem wir einen kleinen Prozentsatz unseres Vermögens spenden, werden wir daran erinnert, dass das Vermögen, welches wir besitzen, nicht wirklich uns gehört. Dadurch kommt ein Perspektivenwechsel zustande – und das ist der Grund, warum Allah im Koran, immer dann, wenn Er uns zum Spenden auffordert, sagt: „Gebt von dem, womit Wir euch versorgt haben“ und uns daran erinnert, dass wir nur Verwalter des Vermögens sind, welches uns gegeben wurde, und dass der wahre Besitzer Allah, der Allmächtige, ist. Vermögen gibt uns außerdem ein falsches Gefühl von Sicherheit. In Anbetracht dieser menschlichen Eigenschaft lehrt uns Allah, dass wahre Sicherheit bei Ihm liegt und nicht in Vermögen oder Besitz. Dies wird auch in einer prophetischen Überlieferung betont, in der es heißt: „Spenden verringern nicht das Vermögen.“ Auch wenn das Geld rein äußerlich nicht mehr bei uns ist, sobald wir es weggegeben haben, so ist das, was wir spirituell erlangt haben, weitaus größer. Hinzu kommen die Belohnungen, die uns Allah für das Spenden versprochen hat. Die Pilgerfahrt (Hajj) ist die fünfte Säule und in Wirklichkeit eine Zusammenführung der oben erwähnten Punkte, da sie eine körperliche, spirituelle und finanzielle Anstrengung darstellt.

Manchmal werden diese gottesdienstlichen Taten aufgrund ihrer rituellen Natur für uns zur Gewohnheit, was dazu führt, dass ihre spirituelle Wirkung verringert wird. Wir neigen dazu, die tiefere Bedeutung zu vergessen und nehmen deshalb keinen spirituellen Fortschritt wahr. Wenn wir einen Schritt zurückgehen und über die Bedeutung der gottesdienstlichen Taten nachsinnen, erkennen wir, dass diese Handlungen nicht einfach etwas Willkürliches sind. In ihnen liegt direkter und langfristiger spiritueller Nutzen für uns. Es ist daher wichtig, dass wir innehalten und uns etwas Zeit nehmen, um über unsere gottesdienstlichen Handlungen (‘Ibadah) nachzudenken und dadurch ihre Bedeutung und Wichtigkeit in unserem Leben neu zu beleben. Dann werden sie zu wirklichen Eckpfeilern unserer Spiritualität und etwas, dem wir freudig entgegensehen.

 

Originalquelle: http://www.suhaibwebb.com/personaldvlpt/worship/inner-aspects-of-worship/

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