Beantworten von Mufti Muhammad ibn Adam
Frage: Ist es eine Sunna an den ersten neun Tagen von Dhul-Ḥiǧǧa zu fasten? Ich hörte einige Leute sagen, dass es keine empfohlene Handlung ist und andere sagen, dass es eine Bid’a ist.
Antwort: Im Namen Allahs, dem Allerbarmer, dem Barmherzigen
Die ersten zehn Tage und Nächte von Dhul-Ḥiǧǧa werden als gesegnet und herausragend erachtet und es wird sehr stark empfohlen, so viele Gottesdienste wie möglich in ihnen zu verrichten.
Sayyiduna Abdullah ibn Abbas (Möge Allah mit ihm zufrieden sein) überliefert vom Gesandten Alahs (Allahs Segen und Frieden auf ihm), dass er sagte: „Es gibt keine Tage, in denen die guten Taten Allah lieber sind als in diesen Tagen – damit meinte er die zehn Tage von Dhul-Ḥiǧǧa...“. (Buḫarī Nr. 926, Tirmiḏī Nr. 757, Abū Dāwūd Nr. 2430 und bei weiteren, Der Wortlaut ist der von Abū Dāwūd)
Der Hadith impliziert, dass das Verrichten von guten Taten jeglicher Art in den ersten 10 Tagen und Nächten Dhul-Ḥiǧǧas von besonderer Wichtigkeit ist und reicher belohnt wird. Das beinhaltet auch Fasten, da dies eine gute Tat ist. Es ist sogar eine der höchsten Formen der Anbetung. So empfiehlt dieser Hadith indirekt das Fasten aller 9 Tage von Dhul-Ḥiǧǧa, da Fasten im allgemeinen Kontext des Hadithes eingeschlossen ist.
Außerdem gibt es andere Überlieferungen, die explizit das Fasten in den ersten 9 Tagen Dhul-Ḥiǧǧas erwähnen.
Sayyida Ḥafsa (Möge Allah mit ihr zufrieden sein) sagte: „Der Gesandte Allahs (Allahs Segen und Frieden auf ihm) ließ nie von vier Dingen ab: Das Fasten von ʿAšūra (Der Zehnte Muḥarram), die 10 Tage (von Dhul-Ḥiǧǧa, mit Ausnahme des Zehnten), die drei Tage eines jeden Monats und die zwei Rakʿa vor der Dämmerung. (Nasāʾī Nr. 2416 und bei Aḥmad)
Hunayda ibn Ḫalid überliefert von seiner Frau, die von einer der Frauen des Gesandten Allahs (Allahs Segen und Frieden auf ihm) überliefert, welche sagte: „Der Gesandte Allahs (Allahs Segen und Frieden auf ihm) pflegte die ersten 9 Tage von Dhul-Ḥiǧǧa, den Tag von ʿAšūra und die drei Tage eines jeden Monats zu fasten. Den ersten Montag eines jeden Monats und die beiden darauffolgenden Donnerstage“. (Nasāʾī Nr. 2417 und bei Abū Dāwūd Nr. 2429, im Wortlaut von Nasāʾī)
Mit den zehn Tagen, von denen in den Hadithen die Rede ist, sind die ersten neun Tage von Dhul-Ḥiǧǧa gemeint, da Einigkeit darüber herrscht, dass das Fasten am zehnten Tag verboten (makrūh taḥrīman) ist und es als Sünde gilt, am zehnten Tag, dem Eid al-Adḥā zu fasten. Imam ibn Sirin mochte den Satz: „die ersten Tage von Dhul-Ḥiǧǧa fasten“ nicht, weil er den Eindruck vermittelt, dass der zehnte Tag dazu gehört. Die Mehrheit der Gelehrten sieht in diesem Satz aber kein Problem, da sie sagen, dass mit „Zehn“ einfach die Tage gemeint sind, in denen es erlaubt ist zu fasten, also die ersten neun Tage. Das Wort „Zehn“ wird hier im metaphorischen Sinn verstanden. (Siehe: Nawawi, Al-Minhaǧ Šarḥ Ṣaḥīḥ Muslim und Ibn Raǧab al-Ḥanbalī, Laṭāʾif al-Maʿārif S. 330)
Darüberhinaus war das Fasten an den ersten 9 Tagen eine übliche und bekannte Praxis zu Zeiten der Gefährten und frühen Muslime.
(Möge Allah mit ihnen allen zufrieden sein). Zu denjenigen, die gefastet haben oder es empfohlen haben zu fasten gehören Abu Hurayra, Abdullah ibn Umar, Qatada, Ibn Sirin, Hasan al-Basri, Muǧāhid und weitere (Möge Allah mit ihnen zufrieden sein). (Siehe dazu: Sunan al-Bayḥaqī 8395 und Laṭāʾif al-Maʿārif S. 329)
Auf Basis dessen waren sich klassische Gelehrte sich grundsätzlich darüber einig, dass es empfohlen (mustaḥabb) ist an den ersten 9 Tagen von Dhul-Ḥiǧǧa zu fasten, wobei das Fasten am Tag von ʿArafah (neunte Dhul-Ḥiǧǧa) von besonderer Wichtigkeit war. Dies ist die Meinung aller vier sunnitischen Schulen im islamischen Recht:
1) In Bezug auf die ḥanafitische Rechtschule steht in al-Fatāwa al-Hindiyya: „Es ist empfohlen (mustaḥab) an den ersten 9 Tagen von Dhul-Ḥiǧǧa zu fasten, so wie es in as-Sirāǧ al-Wahhāǧ erwähnt wird.“ (Al-Fatāwa al-Hindiyya 1/201. Siehe auch: Badāʾi as-Sanāʾi 2/108 und al-Mabsūṭ 3/92)
2) In Bezug auf die malikitischen Rechtschule heißt es in Ḥāšiyat as-Sāwī: „Es ist für denjenigen, der keine Ḥaǧǧ macht, empfohlen am Tag von ʿArafah (neunter Dhul-Ḥiǧǧa) zu fasten, aber für den Pilgernden ist es verpönt, weil das Nicht-Fasten ihm Kraft geben wird um das Stehen (Wuqūf) in ʿArafah zu vollziehen. Und es ist für beide, also für den Pilgernden und den Nicht-Pilgernden empfohlen, während der 8 Tage vor dem Tag von ʿArafah zu fasten“. (Ḥāšiyat as-Sāwī ʿala aš-Šarḥ aṣ-Ṣaġīr 1/691. Siehe auch: al-Ḫuršī, Šarḥ Muḫtaṣar Ḫalīl 3/16-17 und Minhaǧ al-Ǧalīl Šarḥ Muḫtaṣar al-Ḫalīl 2/119)
3) In der šāfiʿītischen Rechtschule sagt Imam Nawawī: „Es ist eine Sunna während der 10 Tage von Dhul-Hiǧǧa zu Fasten, mit Ausnahme des Tages von Eid (also dem Zehnten)“. (Nawawi, Rawdat aṭ-Ṭālibīn 2/388, Siehe auch: Kifayat al-Aḫyār 1/207)
1) Für die Hanbalitische Schule sagt Imam al Mardawī: „ Es ist empfohlen , an den 10 Tagen von Dhul-Ḥiǧǧa zu fasten und es gibt darin keine Meinungsverschiedenheit. Von all diesen Tagen ist der verdienstvollste der Neunte, welcher der Tag von ʿArafah ist und danach der Achte, welcher der Tag von Tarwiyah ist. Das ist die Meinung des [Ḥanbali] Madhabs, wie sie von den Imamen bestätigt wurde.
Abschließend ist zu sagen, dass es einen Hadith gibt, der impliziert, dass der Gesandte Allahs (Allahs Segen und Frieden auf ihm) die Tage von Dhul-Ḥiǧǧa nicht fastete. Sayyida ʿĀʾiša (Möge Allah mit ihr zufrieden sein) sagte: „Ich sah nicht, dass der Gesandte Allahs (Allahs Segen und Frieden auf ihm) während der 10 Tage [von Dhul-Ḥiǧǧa] jemals fastete.“ (Muslim, Nr. 1176, Abū Dāwūd, Tirmiḏī und bei weiteren)
Klassische Gelehrte geben verschiedene Erklärungen für diesen Hadith. Imam Nawawi (Möge Allah seiner Gnädig sein) sagte: „Dieser Hadith muss interpretiert werden, da es nicht verpönt ist, an diesen 9 Tagen zu fasten. Tatsächlich ist es sogar stark empfohlen dies zu tun besonders am neunten Tag, welcher der Tag von ʿArafah ist. Davon ausgehend, verstehen wir diese Aussage so, dass er (Allahs Segen und Frieden auf ihm) aufgrund von Krankheit, Reisen und weiteren Gründen nicht fastete. Oder wir verstehen es so, dass der Umstand, dass sie ihn nicht fasten sah, nicht bedeutet, dass er nicht gefastet hat (…)“ (Al-Minhaǧ Šarḥ Ṣaḥīḥ Muslim 8/320 Nr. 1176)
Andere Gelehrte sagten, dass ʿĀʾišas (Möge Allah mit ihr Zufrieden sein) Aussage den Umstand, dass er (Allahs Segen und Frieden auf ihm) fastete, negiert, während andere Überlieferungen dies bestätigen. Und ein allgemeines Grundprinzip ist, dass Bestätigung (iṭbāt) immer der Negierung (nafiʾ) vorgezogen wird.
Daraus schließend ist es empfohlen und sehr verdienstvoll an allen oder an einigen der 9 Tage von Dhul-Ḥiǧǧa zu fasten. Es ist besonders empfehlenswert am Tag von ʿArafah (Neunter Dhul-Ḥiǧǧa) zu fasten.
Abu Qatada (Möge Allah mit ihm zufrieden sein) überliefert, dass der Gesandte Allahs (Allahs Segen und Frieden auf ihm) sagte: „Das Fasten am Tag von ʿArafah tilgt zwei Jahre, ein Vergangenes und ein Kommendes. Und das Fasten am Tag von ʿAšūra (der Zehnte Muḥarram) tilgt das vergangene Jahr.“ (Muslim, Abu Dāwūd, Nasāʾī und Ibn Māǧah)
Das gilt nach der ḥanafitischen Schule auch für denjenigen, der die Ḥaǧǧ vollzieht – wenn dies den Pilgernden nicht in seiner Anbetung an diesem Tag schwächt. Was die Überlieferungen angeht, in denen der Gesandte Allahs (Allahs Segen und Frieden auf ihm) vom Fasten an diesem Tag abriet, so verstehen die Ḥanafi-Gelehrten es so, dass es sich auf diejenigen bezieht, die das Fasten schwächen oder ermüden würde. Sie vertreten diese Meinung aufgrund der zahlreichen Hadithe, die diesen Tag und das Fasten an diesem loben. (Siehe: Ṭaḥawī, Šarḥ Maʿāni al-ʾĀṭār 2/82-83 und al-Kasani, Badāʾi as-Sanāʾi)
Und Allah weiß es am besten.
Mufti Muhammad ibn Adam
Darul Iftaa
Leicester, UK