Datum: 
09.12.2015

Zehn Anstandsregeln für die Pilgerfahrt (Haddsch)

Verfasser: Imam Ghazali

(Aus dem Arabischen übersetzt von Abdal Hakim Murad; aus dem Englischen von Madrasah.de)

Es gibt zehn Anstandsregeln, die der Pilger einhalten sollte.

Erstens: Das Geld, das der Pilger ausgibt, muss auf erlaubtem (ḥalāl) Weg verdient sein. Ebenso muss er sich darum bemühen, keine fortlaufenden Geschäfte zu haben, während er sich auf der Pilgerfahrt befindet, damit sein Herz nicht mit ihnen beschäftigt ist und seine Aufmerksamkeit nicht auf sie gerichtet wird; denn seine Absicht sollte nur darin bestehen, Allāhs zu gedenken und Seine Pilgerriten zu wahren. Es wird überliefert: „Am Ende der Zeit werden vier Gruppen von Leuten die Pilgerfahrt unternehmen: die Herrscher (als Form der Unterhaltung), die Wohlhabenden (um Geschäfte zu tätigen), die Armen (um zu betteln) und die Qur'an-Rezitatoren (um zu prahlen).“ Diese Überlieferung deutet auf die weltlichen Absichten hin, welche sich hinter den Pilgerreisen der Menschen verbergen können und welche allesamt den Wert der Pilgerfahrt zerstören und die Menschen davon abhalten, die Riten gemäß ihrer tieferen Bedeutung durchzuführen. Besonders für die Pilgerfahrt, die im Namen einer anderen Person gegen Bezahlung unternommen wird, bleibt der Lohn aus, denn solch eine Pilgerfahrt wird dem Diesseits zuliebe und nicht dem Jenseits durchgeführt. Verlässliche Gläubige und Menschen mit reinem Herzen sagten, dass die einzig mögliche Ausnahme davon ist, wenn jemand die Absicht hat, eine Weile in Mekka zu verweilen und keine andere Möglichkeit hat, für die Kosten aufzukommen, als diese Art von Ersatzpilgerfahrt. Wenn dies die zu Grunde liegende Absicht ist, das heißt, wenn das Weltliche als Mittel zur Religion benutzt wird, und nicht umgekehrt, dann ist diese Form der bezahlten Pilgerfahrt nicht tadelnswert. Die Absicht sollte dann allerdings sein, „das reine Haus Allāhs zu besuchen und einem unfähigen Glaubensbruder dabei zu helfen, eine Pflicht zu erfüllen.“

Zweitens: Der Pilger darf Allāhs Feinde nicht unterstützen, indem er unerlaubte Zahlungen tätigt (Erklärung: es war zu dieser Zeit üblich, dass Wegelagerer und Räuber den Weg nach Mekka unsicher gemacht und von den Menschen Erpressungszahlungen gefordert haben. Diese zu bezahlen ist nicht erlaubt). Solche Menschen fallen unter diejenigen, die „vom Wege Allāhs abhalten“ [vgl. Sure 3:99], zu denen auch Wüstenaraber zählen, welche den Pilgern auf ihrem Weg auflauern. Denn ihnen Geld zu geben bedeutet, Ungerechtigkeit zu unterstützen, weshalb man Kniffe und Tricks finden muss, um dies so gut man kann zu umgehen. Oftmals ist es hilfreich, ärmliche und bescheidene Kleidung zu tragen. Wenn dies jedoch nicht möglich ist, so sagten manche Gelehrte, dass es besser ist, nach Hause zurückzukehren ohne Zahlungen zu tätigen, sofern man bereits eine oder mehrere Pilgerfahrten durchgeführt hat. Derartige Gebühren sind eine schändliche Erneuerung, und ihnen Folge zu leisten lässt sie als legitime Praxis erscheinen und bringt den Muslimen nur Schmach und Erniedrigung.

Drittens: Man sollte viel Essen mit sich führen, offenherzig und großzügig sein und es mit anderen teilen. Doch man sollte beim Verzehr von köstlichen Speisen und Getränken nicht in verschwenderische Extreme abschweifen, wie es diejenigen tun, die im Luxus leben. Des Weiteren kann man niemals zu freigiebig darin sein, anderen Pilgern Speisen bereitzustellen, denn im Guten gibt es keine Verschwendung, ebenso wie in der Verschwendung nichts Gutes liegt. Sein Essen während der Haddsch mit anderen zu teilen bedeutet, auf dem Weg Gottes auszugeben, wie Ibn ‘Umar sagte: „Der beste Pilger ist derjenige, dessen Absicht am edelsten, dessen Gaben am reinsten und dessen Überzeugung am festesten ist.“ Der Prophet, Allāh segne ihn und schenke ihm Heil, sagte: „Für die erfüllte Pilgerfahrt gibt es keinen anderen Lohn als das Paradies.“ Er wurde gefragt: „O Gesandter Allāhs, was ist die ‚Erfüllung‘ der Pilgerfahrt?“, worauf er antwortete: „Gutes zu reden und Speisen zu geben.“

Viertens: Während der Pilgerfahrt muss jede Form von Rafaṯ, Fusūq und Ǧidāl unterlassen werden.

Rafaṯ ist ein umfassender Begriff für leeres und unanständiges Gerede. Darunter fallen auch Flirten und die Erwähnung jedweder Themen, die mit sexueller Lust verbunden sind.

Fusūq ist ein Begriff für jede Art der Entfernung vom Gehorsam gegenüber Allāh, Ǧidāl wiederum bedeutet prahlerische und streitlustige Rede, die Hass hervorruft, die Stimmung zerstreut und gegen die Normen des guten Charakters und des guten Benehmens verstößt. Es ist deshalb tadelnswert, seine Gefährten zu kritisieren oder ihnen zuwider zu handeln, denn man sollte Reisenden zum Hause Gottes stets mit Freundlichkeit und Respekt begegnen. Ein guter Charakter besteht nicht darin, erlittenen Schaden zu vergelten, sondern ihn zu ertragen. Es wird gesagt, dass das Reisen (Safar) seinen Namen von der Enthüllung (Sufur) des wahren Charakters der Reisenden erhalten hat, weshalb ‘Umar (möge Allāh mit ihm zufrieden sein) einen Mann, der behauptete, einen Freund gut zu kennen, fragte: „Bist du je mit ihm gereist?“ Als der Mann dies verneinte, sagte ‘Umar schlicht: „Dann kennst du ihn nicht.“

Fünftens: Man sollte sich darum bemühen, so viel wie möglich von der Haddsch zu Fuß durchzuführen. Auf seinem Sterbebett sagte Ibn ‘Abbas zu seinen Söhnen: „Meine Söhne, ihr sollt die Pilgerfahrt zu Fuß durchführen, denn der zu Fuß gehende Pilger erhält mit jedem Schritt, den er tut, siebenhundert gute Taten von den guten Taten der heiligen Moschee.“ Man sollte besonders darauf achten, während der wichtigen Rituale zu Fuß zu gehen, darunter fällt der Übergang von Mekka zum Arafat und nach Mina. Einige Gelehrte waren allerdings der Ansicht, dass Reiten besser sei, da es sicherer ist, einem eher erlaubt, anderen zu helfen und Situationen vorbeugt, die Ärger und Feindseligkeit im Herzen provozieren. Im Grunde steht diese Ansicht nicht im Widerspruch zur obigen: Man sollte sein Urteilsvermögen verwenden, um zu gehen, wenn es einfacher ist, aber zu reiten, wenn man schwach ist oder befürchtet, dass das Gehen einen zu schlechtem Verhalten bewegt und den Wert seiner Handlungen mindert. Beim Durchführen der kleinen Pilgerfahrt (‘Umra) ist es besser, zu Fuß zu gehen und das so gesparte Geld für gute Zwecke auszugeben.

Sechstens: Wenn ein Pilger sich dazu entscheidet, zu reiten, dann sollte er dies in einem Sattel und nicht in einer überdachten Sänfte tun. Davon ausgenommen ist lediglich ein Pilger, der schwach ist oder das Reiten nicht gewohnt ist und fürchtet, aus einem gewöhnlichen Sattel herauszufallen. Dabei gilt es, zwei Dinge zu beachten: Erstens sollte man es dem Reittier leicht machen - Sänfte zu tragen ist eine Erschwernis für die Tiere; und zweitens sollte man es vermeiden, wie die Hochmütigen und Reichen aufzutreten. Der Prophet, Allāh segne ihn und schenke ihm Heil, vollzog die Haddsch reitend, damit die Menschen seinem Beispiel folgen und seine Handlungen nachahmen können, doch er ritt in einem alten Stoffsattel, der nur vier Dirham kostete. In späteren Zeiten wurden Karawanen prunkvolle Angelegenheiten, so dass Ibn ‘Umar eine von ihnen ansah und sagte: „So wenige Pilger, aber so viele Tiere!“ Dann bemerkte er einen armen Mann in Lumpen und sagte: „Hier ist ein wahrhaft vorzüglicher Pilger!“

Siebtens: Man sollte eine zerlumpte, staubige und unordentliche Erscheinung und ungekämmtes Haar haben, ohne viel äußerlichen Schmuck oder jedwede Neigung zu Prunk oder Ehrenkleidung. Denn ansonsten könnte man als einer der Arroganten und Hochmütigen niedergeschrieben werden und nicht als einer der Schwachen und Armen mit reinem Herzen. Der Prophet, Allāh segne ihn und schenke ihm Frieden, merkte an: „Der wahre Pilger hat zerzaustes Haar und ist ungekämmt.“ Und Allāh, der Erhabene, verkündet: „Betrachtet die Besucher Meines Hauses. Sie kommen zu Mir, verstaubt und mit ungekämmtem Haar, aus jedem tiefen Tal.“ Und Er sagt: „Hierauf sollen sie ihre Ungepflegtheit beenden“ [Sure 22:29] – gemeint ist, indem sie ihre Haare scheren lassen und ihre Fingernägel schneiden.

Achtens: Man muss die Tiere, die man reitet, gut behandeln. Es ist nicht erlaubt, sie zu überladen oder auf ihnen zu schlafen. Weder schliefen die vorangegangenen rechtschaffenen Muslime auf ihren Tieren, außer wenn sie versehentlich einnickten; noch saßen sie über lange Zeiträume ohne Pausen auf ihnen. Allāhs Gesandter, Allāh segne ihn und schenke ihm Frieden, sagte: „Behandelt eure Tiere nicht wie Stühle!“ Es ist empfohlen und entsprechend der Sunna, von Zeit zu Zeit vom Tier abzusteigen und ihm so zu ermöglichen, sich zu erholen. Auf dem Sterbebett sagte Abu ad-Darda zu seinem Kamel: „Mein Kamel, ich habe dich niemals überladen, also beschwere dich nicht bei deinem Herrn über mich!“ Allāh belohnt gütiges Verhalten gegenüber allen Lebewesen. Deshalb müssen wir auch die Rechte der Tiere wahren und die Rechte des Besitzers, der es entliehen hat. Für eine Weile abzusteigen und neben dem Tier zu gehen gewährt dem Tier Entlastung und erfreut den Halter. Einst bat ein Mann Ibn al-Mubarak, ein Buch mit sich zu tragen und es an seinem Reiseziel abzugeben. Er sagte: „Ich werde den Halter um Erlaubnis bitten, denn ich habe bereits für ein bestimmtes Tier und einen bestimmten Preis zugesagt.“ Siehe also, wie gewissenhaft er darin war, selbst ein einziges Buch, dessen Gewicht unbedeutend ist, auf das Tier zu laden. Denn wenn man die Tür nur ein klein wenig öffnet, so wird nach einer Weile vieles durch sie hineinkommen.

Neuntens: Der Pilger sollte die Zufriedenheit Allāhs durch ein Opfer anstreben, selbst wenn dies für ihn keine religiöse Pflicht darstellt. Er sollte sich bemühen, sicherzustellen, dass es ein wohlgenährtes, wertvolles Tier ist. Wenn es sich um ein freiwilliges Opfer handelt, sollte er vom Fleisch essen, jedoch nicht, wenn das Opfer eine Pflicht für ihn war. Nicht die Bereitstellung großer Mengen von Fleisch ist es, was beabsichtigt ist, sondern die Reinigung der Seele und das Unterdrücken der Liebe des Egos zur Habgier. „Nicht ihr Blut und nicht ihr Fleisch erreichen Allāh, sondern eure Gottesfurcht erreicht Ihn.“

Zehntens: Man muss zufrieden sein mit den Ausgaben, die man trifft, den Opfern, die man erbringt, und dem Verlust an Geld oder körperlichen Leiden, denn dies ist ein Zeichen, dass die Pilgerfahrt von Allāh angenommen wurde. Ein Unglück, das dem Pilger widerfährt, ist wie eine der Beschwerlichkeiten, mit denen der Kämpfer auf dem Wege Gottes konfrontiert ist: Für jeden Schmerz, den er erleidet und jeden Verlust, den er erfährt, erhält er eine Belohnung – und Allāh lässt nicht zu, dass der Lohn dessen, der Gutes tut, verloren geht. 

 

Originalquelle: http://www.masud.co.uk/ISLAM/ahm/AHM-Ghazali_on_haj.htm