Das Wort ‚ausgehen‘ oder ‚daten‘ war lange Zeit tabu in der islamischen Gesellschaft. Schon im Kindesalter wird Kindern beigebracht, dass Muslime nicht ausgehen bzw. daten und dass es verboten ist. Ich erinnere mich, wie ich mir dies als Kind von meinen Eltern anhören musste, und als ich älter wurde, musste ich meinen Freunden erklären, dass ich nicht auf Dates gehe. Einen Freund zu haben stand nicht ansatzweise zur Debatte und sogar das Telefonieren mit einem Jungen, um Hausaufgaben zu besprechen, wurde von meinen Eltern kontrolliert. Wie viele Jugendliche heutzutage wartete ich ab und alles sollte nach den Regeln meiner Eltern gehen, und ich träumte davon, dass ich eines Tages heiraten würde und alles perfekt wäre. Wie genau ich heiraten sollte, wurde aber nicht besprochen. Meine Mutter erzählte mir von ihrer arrangierten Ehe mit meinem Vater, wie alles passierte, mich beruhigend mit der Aussage, mein Ehemann sei für mich schon von Gott vorherbestimmt – „Es ist alles Gottes Plan, habe keine Angst, es wird schon so geschehen, wie es geschrieben ist.“ Ich glaubte weiter an dieses ‚magische‘ Schicksal bis zu meiner Hochschulzeit. Schließlich lernte ich einen jungen Mann kennen und ich hatte Heiratsabsichten, jedoch keine Idee, wie ich es ohne jegliche Erfahrung angehen sollte; ich fühlte mich verloren und verwirrt. Diese Art des idealistischen Denkens, das zu Verwirrung und sogar zu Aufruhr führt, setzt sich auch weiterhin vorwiegend in unserer Gesellschaft durch. Viele Muslime werden mit der Vorstellung erzogen, dass man eines Tages heiraten wird, jedoch darf es davor keinen Austausch zwischen den Geschlechtern geben. Dies macht es unmöglich, die Person, die für einen ‚vorherbestimmt‘ ist, für die Ehe näher kennenzulernen.
Aus Angst vor westlichen Werten, in denen der voreheliche Geschlechtsverkehr gebilligt wird, ist die muslimische Gesellschaft wie gelähmt, wenn sie sich dem Problem des Ausgehens nähert. Viele junge Muslime ignorieren die Vorstellung des Ausgehverbots und treffen sich stattdessen hinter dem Rücken ihrer Eltern miteinander. Manche haben dieses Verbot hingegen akzeptiert und halten sich vom Ausgehen fern. Andere wiederum sind verzweifelt darüber, wie schwierig es ist, einen Muslim kennenzulernen, und stattdessen trifft man sich mit Nichtmuslimen und heiratet sie, da es einfacher ist, sie kennenzulernen, weil es viel weniger Einschränkungen gibt.
Heutzutage wandert die Jugend verwirrt und entmutigt umher, um sich der Heirat zu nähern und andere kennenzulernen, während sie gleichzeitig ihre islamischen Werte beizubehalten versuchen. Eltern und Vorsitzende in der Gesellschaft setzen weder Grenzen zwischen den Geschlechtern, noch geben sie praktische Ratschläge. Der Mangel an Leitung versetzt die Jugend in Frust und macht sie anfällig für westlich-kulturelle Normen um sie herum.
Der Koran mahnt die Muslime vor der Unzucht in der Sure al-‘Isrāʾ‘: «Und kommt der Unzucht nicht nahe; seht, das ist eine Schändlichkeit und ein übler Weg.» (al-Isrāʾ, 17:32) Dieser Vers gibt jedoch keine bestimmte Anweisung, wie Muslime einen Ehepartner finden. Die Weisheit, die dahinter steckt, ist die, dass unserem Glauben Grenzen gesetzt sind, und jeder kann diesen Weg individuell innerhalb dieses Rahmens beschreiten. Wir als Gesellschaft jedoch müssen eine Lösung für den besten Weg finden, um besonders in der heutigen Zeit jemanden für die Ehe kennenlernen zu können. Im Laufe der Geschichte bestand die Mehrheit der Ehen aus arrangierten Ehen. Erst innerhalb der letzten 100 Jahre hat sich der Weg zur Eheschließung zu dem geändert, was wir heute unter ‚Dating‘ verstehen.
Dating in der heutigen Kultur ist eine wertelose Beschäftigung ohne eine Absicht zur Heirat geworden, die nur zu unehelichem Geschlechtsverkehr führt. Dies war nicht immer so: Im Laufe der Geschichte – mit Ausnahme der heutigen Zeit – wurde die Brautwerbung als Brücke zur Heirat betrachtet. In den frühen 1830er Jahren bis 1900 entwickelten sich in den USA arrangierte Ehen zu den heute bekannten ‚Dates‘. Laut Websters Wörterbuch wird die Bedeutung des Wortes ‚Date‘ als eine Aktivität, die zur Verlobung und Heirat führen soll, definiert. Die sexuelle Enthaltsamkeit mit Mitwirkung der Eltern ist inbegriffen, damit sich zwei Menschen für die Ehe, im Rahmen der Ehre und des gegenseitigen Respekts füreinander, kennenlernen. Laut dieser Bedeutung könnte ein solcher Partner eine alternative für einen Muslim sein, der weder den Weg der ‚arrangierten Ehe‘ noch den des modernen Datings gehen will. Sicherlich hört sich ein solches Kennenlernen in dem jetzigen kulturellen Klima sehr altmodisch an. Andererseits geht ‚Dating‘ für viele Muslime in der heutigen Gesellschaft zu weit, die nur arrangierte Ehen oder einen streng kontrollierten Prozess der Eheschließung akzeptieren. Wie auch immer man es betrachtet, sollte eine islamische Art des Kennenlernens als natürlicher Fortschritt in unserer Gesellschaft einen Platz finden, als Anreiz für junge Muslime, um nicht in schädliche und schändliche Aktivitäten zu geraten, während sie versuchen, sich an islamische Werte zu halten.
Ich weiß, dass es Leser gibt, die erstaunt darüber sein werden, dass ich eine weniger eingeschränkte Alternative vorschlage. Aber ich glaube aufrichtig daran, dass es Zeit für uns ist, andere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Ein ‚islamisches Kennenlernen‘ ist keine launenhafte Beschäftigung, es steckt sehr wohl ein Ziel dahinter: Zwei Menschen verbringen Zeit zusammen, um sich miteinander und mit der Unterstützung ihrer Eltern für die Ehe vertraut zu machen. Es ist gut für junge Muslime (sowohl für Männer als auch für Frauen) Freiheiten innerhalb der islamischen Richtlinien bezüglich der Partnerauswahl zu haben. Es müssen aber Grundprinzipien vorhanden sein: In erster Linie sollten nur diejenigen, die bereit zum Heiraten sind, eine Partnerschaft in Erwägung ziehen. Eine islamischer Kennenlernprozess soll keine alberne Aktivität sein und ist nur für zwei Personen gedacht, die es ernst meinen und – sowohl seelisch als auch finanziell – bereit für die Ehe sind. Selbstbeherrschung und Schamgefühl müssen in Rede und Handlung vorhanden sein, um Respekt aufzubauen. Wenn eine ernste Absicht da ist und man diese aufrechterhalten will, ist es wichtig, sich der Konsequenzen des unanständigen Verhaltens und des Mangels an Selbstbeherrschung bewusst zu sein.
Der Koran mahnt uns: «Sprich zu den gläubigen Männern, dass sie ihre Blicke zu Boden schlagen und ihre Keuschheit wahren sollen. Das ist reiner für sie. Wahrlich, Allah ist dessen, was sie tun, recht wohl kundig.» (an-Nūr, 24:30)
«Und sprich zu den gläubigen Frauen, dass sie ihre Blicke zu Boden schlagen und ihre Keuschheit wahren und ihren Schmuck nicht zur Schau tragen sollen – bis auf das, was davon sichtbar sein darf, und dass sie ihre Tücher um ihre Kleidungsausschnitte schlagen und ihren Schmuck vor niemand (anderem) enthüllen sollen als vor ihren Gatten oder Vätern oder den Vätern ihrer Gatten oder ihren Söhnen oder den Söhnen ihrer Gatten oder ihren Brüdern oder den Söhnen ihrer Brüder oder Söhnen ihrer Schwestern oder ihren Frauen oder denen, die sie von Rechts wegen besitzen, oder solchen von ihren männlichen Dienern, die keinen Geschlechtstrieb mehr haben, und den Kindern, die der Blöße der Frauen keine Beachtung schenken. Und sie sollen ihre Füße nicht so (auf den Boden) stampfen, dass bekannt wird, was sie von ihrem Schmuck verbergen. Und wendet euch allesamt reumütig Allah zu, o ihr Gläubigen, auf dass ihr erfolgreich sein möget.» (an-Nūr, 24:31)
Die mangelnde Schamhaftigkeit und das Fehlen von Selbstbeherrschung sowohl bei Männern als auch bei Frauen, die zu unehelichem Geschlechtsverkehr führen, haben sich in der heutigen Gesellschaft langsam festgesetzt. Eltern müssen der Jugend mit den Vorteilen der Bescheidenheit stets als Vorbild dienen, nicht nur auf eine Art, wie es ihnen Nutzen bringt, sondern auch in einer Form der Selbstachtung, wie sie auch selbst von anderen behandelt werden möchten. Es ist kindisch zu denken, man könne gleichzeitig Respekt und Mangel an Selbstachtung gegenüber jemandem zeigen, den man heiraten möchte. Die Reife, die erforderlich ist, um sich mit Selbstdisziplin zu beschäftigen, ist eine Bedingung zur Partnerschaft. Dasselbe respektable Verhalten, das zwischen Nichtmuslimen und Muslimen in unserer Gesellschaft herrscht, sollte leicht in eine Beziehung zwischen Muslimen übertragbar sein.
Ich bin der Meinung, wenn unsere jungen Frauen und Männer mit der Perspektive erzogen werden, dass ein islamischer Kennenlernprozess dazu dient, den richtigen Partner für die Ehe zu finden, geregelt durch Selbstkontrolle und Respekt, dann kann dieses Modell funktionieren. Das erfordert die Offenheit der Familie gegenüber dem möglichen Partner des Kindes, um ihn besser kennenzulernen und offen über die Grenzen der Beziehung sprechen zu können, damit die Akzeptanz sowohl von der Familie als auch islamisch betrachtet bestehen bleibt. Eine solche Art des Kennenlernens erlaubt es, unverheirateten Menschen Freundschaften zu entwickeln, um den Charakter des jeweils anderen kennenzulernen, und sie erkennen ebenfalls die Verantwortung, gegenseitig die Herzen nicht zu brechen, bis das Resultat ihres Kontakts bekannt ist. Islamische ‚Brautwerbung‘ würde das Zusammenwirken der Gesellschaft unterstützen und die Freundschaft sowohl zwischen jungen Männern und Frauen als auch der gesamten Familie fördern. Solch ein Umdenken erfordert in der östlichen Kultur eine Anpassung und Akzeptanz dieses neuen Weges, um einen Ehepartner kennenlernen zu können.
Ich fordere unsere Gemeinschaft auf, objektiv zu sein und realistisch und vernünftig mit unseren jungen Männern und Frauen umzugehen. Jugendliche im Schulalter sollten vielleicht nicht für dieses System in Betracht gezogen werden; Ältere, sich im Hochschulalter oder darüber hinaus befindende Muslime wären die wahrscheinlich idealere Zielgruppe. Eltern sollten nicht unnötig Probleme verursachen, indem sie übermäßig besorgt über die möglichen Versuchungen sind, wenn sich ihre Kinder um sich selbst kümmern und das Risiko gering ist. Sie sollten diskret und offen mit ihren Kindern über verschiedene Themen während dieses Prozesses sprechen. Eltern und Kinder sollten sich ebenfalls darüber einig sein, wie und unter welchen Bedingungen mögliche Treffen mit eventuellen Partnern stattfinden. Dem Paar sollte die Möglichkeit gegeben werden, unter vier Augen zu sprechen, jedoch in einer Umgebung, in der die Risiken minimiert sind. Das könnte zum Beispiel ein öffentliches Café sein oder ein Zimmer mit offenen Türen zu Hause, während die Eltern sich im Nebenzimmer befinden, ohne die Kinder ständig abzuhören oder aufdringlich zu sein.
Während des Kennenlernens sollten zwischenfamiliäre Aktivitäten gepflegt werden, damit nicht nur die Partner, sondern auch die Familien einander besser kennenlernen. Das erlaubt den Familien, Freundschaften mit dem möglichen Partner aufzubauen. Besondere Aktivitäten wie das Telefonieren, Chatten und Ähnliches sollten Eltern und Kinder untereinander ausmachen, je nachdem, wie es in der jeweiligen Familie gehandhabt wird. Insgesamt ist es jedoch sowohl für die Heiratswilligen als auch für die Familien besser, diese Beziehung so öffentlich wie möglich zu halten.
Ich fordere unsere Gesellschaft auf, offen über mögliche Methoden des Kennenlernens zu sprechen! Wir müssen unsere Ängste vor dem Wort ‚ausgehen‘, ‚daten‘ oder ‚kennenlernen‘ überwinden und etwas Neues für unsere Jugendlichen definieren. Ausgehen muss nicht unbedingt heißen, dass außerehelicher Geschlechtsverkehr automatisch die Folge ist. Denn der Prozess kann sich auch zurückentwickeln und die ursprüngliche Bedeutung der Brautwerbung erlangen. Wenn muslimischen Kindern von klein auf beigebracht wird, dass Erwachsene sich eher mit Brautwerbung als mit simplem Ausgehen befassen, dann wird dies ihnen das richtige Bild vermitteln, wie und wann sie sich mit der Ehe befassen können. Mit Verständnis und Liebe geführte Gespräche sollten zwischen Kindern und Eltern stattfinden, während dieser große Schritt zum Erwachsensein getan wird. Meine große Hoffnung ist es, dass wir als Gemeinschaft endlich begreifen, dass Ehe nicht wie durch Magie passiert. Wir müssen diese schweren Themen endlich angehen und unseren Kindern einen realistischen Zugang zur Ehe ermöglichen.
Autor: Munira Lekovic Ezzeldine
Übersetzt von Yahya Haddad