Die Frage nach dem freien Willen: Warum steht im Koran, dass Allah die Nichtgläubigen fehlleitet?
Beantwortet von Schaikh Idris Watts
Frage: Warum steht im Koran, dass Allah – subḥānahu wa ta‘āla – die Nichtgläubigen fehlleitet? Ich dachte bislang, dass sie den Unglauben selbst wählen. Oder meint Allah, dass Er sie mit Teufeln (šayāṭīn) oder dem Teufel (šayṭān) heimsucht?
Antwort: Allah leitet Menschen aufgrund Seines Wissens über ihren Zustand und der Wahl, die sie in ihrem Leben treffen und nach der sie handeln, fehl. Dies steht also nicht im Gegensatz zum freien Willen. Allah der Allmächtige sagt im heiligen Koran:
«Allah schämt Sich nicht, ein Gleichnis auch nur mit einer Mücke oder mit etwas darüber (hinaus) zu prägen. Was nun diejenigen angeht, die glauben, so wissen sie, dass es die Wahrheit von ihrem Herrn ist. Was aber diejenigen angeht, die ungläubig sind, so sagen sie: ‹Was will denn Allah damit als Gleichnis?› Er lässt damit viele in die Irre gehen und leitet viele damit recht, doch lässt Er damit nur die Frevler in die Irre gehen, die Allahs Bund nach seiner Abmachung brechen und trennen, was Allah befohlen hat, dass es verbunden werden soll, und auf der Erde Unheil stiften – das sind die Verlierer. Wie könnt ihr Allah verleugnen, wo ihr doch tot wart und Er euch dann lebendig gemacht hat, euch hierauf sterben lässt und darauf wieder lebendig machen wird, worauf ihr zu Ihm zurückgebracht werdet?» (al-Baqara, 2:26-28)
Diese Verse der Sure al-Baqara verdeutlichen, dass Allah jedem Einzelnen Prüfungen sendet, um dessen wahres Wesen vor anderen Menschen zu offenbaren. Dadurch wird ihre Irreführung anderen offengelegt und sie werden weiter auf Abwege geführt. Allah aber zwingt sie nicht, den Irrweg zu wählen – vielmehr sind die Prüfungen, die Er ihnen schickt, ein Mittel, um zu Ihm zurückzukehren oder aber weiter dem Weg der Verleitung zu folgen. Somit stimmt es zwar, dass Allah sie irreleitet, allerdings nur aufgrund der Handlungen und Entscheidungen, die sie in ihrem Leben treffen.
Es ist wichtig, Koranverse nicht isoliert und aus dem Kontext herausgerissen zu lesen. Oftmals muss man erst weiterlesen, um zu verstehen, was Allah uns vermitteln möchte.
In den obigen Versen sagt Er, dass Er sie irreleitet, da sie ihr Versprechen Ihm gegenüber nicht einhalten, sie das Bündnis mit den ihnen gesandten Propheten, die sie anwiesen, Allah zu gehorchen, brechen oder die Familienbande lösen und Zwietracht auf Erden säen.
Allah der Allmächtige sagt auch:
«Allah hat ihre Herzen und ihr Gehör versiegelt, über ihrem Augenlicht befindet sich eine Hülle. Für sie wird es gewaltige Strafe geben.» (al-Baqara, 2:7)
Einige Menschen beanstanden diesen Vers und behaupten, dass wenn Allah ihre Herzen doch bedeckt hat und verkündet, dass sie den Islam nicht annehmen werden, wie können sie dann die Wahl haben, Muslime zu werden? Steht dies nicht im Widerspruch zum freien Willen?
Um diese Frage zu beantworten, können wir einen Vergleich zu einem Arzt ziehen, der verkündet, dass die Krankheit eines Patienten nun unheilbar sei. Wir sollten uns überlegen: Ist die Krankheit unheilbar, weil der Arzt sie als solche bezeichnet, oder aber, weil der Patient sich in einem so fortgeschrittenen Stadium seiner Krankheit befindet, dass es keine Heilung mehr gibt? Natürlich liegt die Antwort im Letzteren. Der Arzt informiert den Patienten lediglich über seinen kritischen Zustand.
Ähnlich verhält es sich mit den Nicht-Gläubigen, die Allah hier beschreibt: Sie waren derart unerbittliche Feinde des Islam aufgrund ihrer Arroganz, Eifersucht und Verachtung in ihren Herzen gegenüber den Gläubigen und der ihnen herabgesandten Offenbarung, sodass sie die Offenbarung niemals hätten akzeptieren können. Anstatt sich nach einem Heilmittel zu bemühen, um ihren Zustand zu verbessern, vernachlässigten sie die Krankheiten in ihren Herzen und nährten das Geschwür so lange, bis keine Heilung mehr möglich war.
Somit informiert der Arzt den Patienten lediglich über seinen kritischen Zustand.
Dies wiederum steht nicht im Widerspruch zur Existenz des freien Willens, über den sie verfügten.
Idris
Abu Zahra Foundation