Datum: 
09.07.2016

Die Re-Former des Islam

Aus der Reihe: Die Masʿud-Fragen

Beantwortet von: Nuh Ha Mim Keller (1995)

 

Frage zum Thema: Imam Aschʿarī weist Aschʿarismus zurück

Die Salafis behaupten, dass Imam Abū l-Ḥasan al-Aschʿarī die aschʿaritischen Grundsätze islamischen Glaubens formuliert hat, als er sich zwischen den muʿtazila und der ahlu sunna befand, und dass er später seine Definitionen zurückgewiesen, sich der ahlu sunna in der ḥanbalitischen Rechtsschule vor seinem Tod angeschlossen hat. War dies tatsächlich so? Sie behaupten auch, dass er einen zweiten Traum gehabt haben soll, in dem ihm der Prophet  – Allahs Segen und Frieden auf ihm – erschienen sein und gesagt haben soll, dass seine aschʿaritischen Positionen falsch sind!

Antwort:

Die aschʿaritischen und māturidischen Schulen repräsentieren die ʿaqīda (islamischen Glaubensgrundsätze) der sunnitischen Muslime seit mehr als tausend Jahren, genauso wie die ḥanafitische, malikitische, schafiʿitische oder ḥanbalitische Rechtsschule die islamische (Rechts-)Lehre für die Mehrheit der sunnitischen Muslime in dieser Zeit repräsentiert haben. Diejenigen, die sich gegen diese zwei traditionellen Schulen der Glaubensregeln aussprechen, sind Menschen der bidʿa, definiert durch eine Fatwa (formal-legale Meinung) von Schaikh Ibn Ḥaǧar Haytamī als „wer auch immer auf anderen Wegen jenseits des Weges der ahlu sunna wa-l-ǧamāʿa – und mit ahlu sunna wa-l-ǧamāʿa sind die Anhänger von Schaikh Abū l-Ḥasan al-Aschʿarī und Schaikh Abū Manṣūr al-Māturīdī gemeint – geht“ (Haytamī, al-Fatāwa al-ḥadithīya, 280). In der Vergangenheit waren solche Verstöße, abgesehen von Muʿtaziliten, Schiiten und rein sektiererischen Bewegungen, auf eine Handvoll – hauptsächlich – Ḥanbaliten begrenzt, deren Meinungsverschiedenheit mit den zwei traditionellen Schulen darin lag, dass keine von beiden irgendetwas mit der buchstäblichen, anthropomorphistischen (vermenschlichenden) Auffassung von Allah dem Erhabenen zu tun hatte, die sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln verbreitet haben.

Um auf Ihre Frage zu antworten: Die Behauptungen, Imam Abū l-Ḥasan al-Aschʿarī (gest. 324 n. H./936 n. Chr.) hätte seine eigenen Stellungen verworfen, sind nicht neu, sondern wurden schon seit Langem von den Ḥanbaliten in Umlauf gebracht. Eine Tatsache, die den Hadithmeister (ḥāfiẓ) Ibn ʿasākir dazu veranlasste, dieser Frage gründlich nachzugehen und die Überlieferungsketten (sanad) dieser Zuschreibung bezüglich Imam Aschʿarīs zu erforschen. Die Resultate seiner Untersuchung liefern die wahrscheinlich beste intellektuelle Biographie von Aschʿarī, die je geschrieben wurde: Ein Buch, das diese Behauptungen eindeutig und vollständig widerlegt, genannt Tabyīn kadhib al-muftarī fī mā nusiba ilā-l-imām al-Aschʿarī (Über das Aufzeigen der Unwahrheiten der Lügner, in Bezug auf die Zuschreibungen auf Imam Aschʿarī), und das beweist, dass sich in allen Überlieferungsketten Lügner befinden, die Imam Aschʿarī die oben genannten Behauptungen zuschreiben. Das Buch ist in Druckform erhältlich und wer auch immer sich die Details aneignen möchtel, sollte es lesen.

Imam Aschʿarīs al-Ibāna ʿan uṣūl ad-diyāna (Die Klarstellung über die Grundlagen des Glaubens) war nicht sein letztes Buch, sondern vielmehr unter den ersten, nachdem er mit den muʿtazila brach.

Imam Kautharī sagt:
„Die Ibāna wurde zu Beginn seiner Abkehr vom muʿtazila-Gedankengut geschrieben und war dafür angedacht, Barbahārī (den ḥanbalitischen Buchstabengläubigen, gest. 328 n. H./940 n. Chr.) dazu zu verleiten, die Glaubensgrundlagen der ahlu sunna anzunehmen. Wer auch immer glaubt, es sei sein letztes Buch gewesen, glaubt an etwas offenkundig Falsches. Außerdem hatten die Verfasser seitens der Anthropomorphisten freien Zugang zu dem Text – zum Teil nach der Fitna, die in Baghdad 323 n. H. vor sich ging, als Ḥanbaliten (‚die Schüler von Barbahārī‘) in der gleichen Stadt die Oberhand gewannen und die Muslime der schafiʿitischen Rechtsschule schlugen, auf dass hin der Anthropomorphismus der herrschende Glaube (ʿaqīda) wurde (vgl. Athīr: al-Kamāl fī al-tārīkh, 7.114) – sodass auf alles in diesem Werk, das den expliziten Grundsätzen von Imam Aschʿarī, die an seine Schüler und an deren Schüler usw. weitergegeben wurden, widerspricht, kein Verlass ist. (al-Sayf al-Saqil, 108).

Dies wird durch den Hadithmeister (ḥāfiẓ) Dhahabī in seinem Siyar aʿlām an-nubalāʾ (15.90) bekräftigt, genauso durch Ibn ʿasākirs Tabyīn kadhib al-muftarī.

Bezüglich des Sehens von Träumen, mögen sie das Herz erwärmen, ist zu sagen: Sie stellen weder für islamisches Recht noch für Glaubensgrundsätze einen Beweis dar. In seiner Einführung zu Ibn ʿasākirs Werk stellt Kautharī fest, dass „die Anthropomorphisten diejenigen sind, die dies (die Überlieferung von Träumen) nötig haben: Wenn sie nicht in der Lage sind, im Wachzustand ihre Standpunkte zu beweisen, dann legen sie sich schlafen, um dann schlafend die Beweise zu finden, die sie brauchen, damit sie mit ihnen ihre Bücher füllen können.“ (Tabyīn kadhib al-muftarī, 21-22).

Im allgemeinen ist es in Bezug auf Ihre Frage notwendig zu sagen, dass Saudi-Arabien ein salafitisches Buch namens Manhaǧ al Aschʿarīa fī al-ʿaqīda eines Safar Ḥawālī, Professor der Umm al-Qurā Universität in Mekka, gedruckt und weltweit tausende Kopien verteilt hat. Hierin werden den Aschʿarīs Misinterpretationen beigesellt, die für diesen Teil der Welt typisch sind. Außerdem wird die Schule mit Stellungen von häretischen Sekten wie der ǧahmīya, qadarīya, murǧiʾa etc. identifiziert und beinhaltet eine Nummer von Aussagen, die Sie mich über die Aschʿarīs gefragt haben; also würde ich sagen, dass das die Falschaussagen sind, denen englischsprachige Salafis auf den Leim gehen.

Die Details findet man in Ḥasan al-Ṣaqqāfs neuester Widerlegung des Werkes: Der Gruß an den geliebten Freund und die Errungenschaft des gesuchten Glücks, im herzlichen Diskurs mit Safar, dem Besiegten. Ich habe gehört, dass Ḥawālī seitdem seine Positionen verlassen hat, obwohl ich die Details dazu nicht kenne.
Ṣaqqāf berichtet auch über die von Ḥanbaliten erlogenen ‚Reuen‘ verschiedenster aschʿarītischer Imame, zum Beispiel Imam Aschʿarī, Ǧuwaynī und Ghazzālī, die nirgendwo in ihren Büchern auftauchen, uns aber durch Überlieferungsketten mit je einem oder zwei Anti-Aschʿarīs in ihr erreichen, was auch in Ibn Subkīs Ṭabaqāt al-schafiʿīya al-kubrā unter den biographischen Einträgen zu jedem dieser Gelehrten bestätigt wird.

Aus weiterer Perspektive des islamischen Rechts betrachtet, sind diese Verleumdungen bedeutungslos, da ein Muslim an die islamische ʿaqīda der ahlu sunna nicht glauben darf, nur weil es sein Imam sagt, sondern vielmehr weil er selbst aufrichtig glaubt, es sei die Wahrheit. Gelehrte sagen, es ist im Gegensatz zu Regelungen des islamischen Rechts nicht gesetzlich gültig, einer qualifizierten Wissenschaft im Bereich der ʿaqīda zu folgen (taqlīd), solange man keine volle Überzeugung dieser Grundlagen im eigenen Herzen verinnerlicht hat – aus diesem Grund lehren die Gelehrten uns auch Folgendes: Sollte jemand taqlīd im Glauben machen, dann gilt dies unter der Bedingung, dass man selbst der Meinungsänderung des jeweiligen Imams nicht Folge leisten würde, wenn der befolgte Imam zum Beispiel an etwas aus den Grundlagen aufhört zu glauben. Somit hätten die Verleumdungen wenig wissenschaftliche Relevanz, außer um aufzuzeigen, wie weit man bereit ist, ihre Geschichte nachzuverfolgen.