Datum: 
22.02.2016

Große vs. kleine Sünden

Beantwortet von Shaykh Faraz A. Khan

FRAGE: Mir sind viele große Sünden bekannt (Sünden, die im Koran und in den Hadithen genannt werden und eine Gesetzmäßigkeit darstellen). Große Sünden zu machen ist demnach haram. Was die kleinen Sünden betrifft, umfassen diese alles was als „makruh tahrim“ gilt? Ist es zum Beispiel makruh tahrim das Nachmittagsgebet zu beten, während die Sonne untergeht? Ist das eine kleine Sünde?
 

ANTWORT: Assalamu alaikum wa rahmatullah,

Ich bete, dass dich dies erreicht, während du bei bester Gesundheit und in bester Verfassung bist.

 

Große vs. kleine Sünden

Historisch betrachtet gab es unter den Gelehrten immer große Diskussionen darüber, was eine große gegenüber einer kleinen Sünde ausmacht.

Laut den meisten Gelehrten ist die Definition von großer Sünde (Kabira) jede Sünde, die der Gesetzgeber (ob im Qur’an oder in der Sunnah) eigens mit einer Bestrafung, einer Drohung oder einem Fluch in Verbindung gebracht hat. Einige Beispiele dafür sind: Mord, Diebstahl, Ehebruch, Wucher einnehmen und Wein trinken.

Das würde natürlich auch Sünden miteinschließen, die im Qur’an oder in den Hadithen nicht gesondert erwähnt wurden, jedoch die gleiche oder eine schlimmere Übertretung, wie von den Juristen abgeleitet, beschreiben. Beispiele dafür sind der Verrat, wiederrechtlich angeeigneter Wohlstand und der Konsum von anderen Rauschmitteln, neben dem Wein.

[Ansari/Bihari, Fawatih Rahamut sharh Musallam Thubut; Baydawi, Anwar al-Tanzil wa Asrar al-Ta’wil]

Eine kleine Sünde (Saghira), wäre dann jede andere Handlung, die im göttlichen Gesetz oder in den Büchern der Rechtswissenschaft als sündhaft beschrieben wurde.

Wenn jemand jedoch beharrlich daran festhält eine kleine Sünde zu begehen, bis diese ein Teil seines Lebensstils wird, dann würde diese Sünde als große Sünde gelten. Der Grund dafür ist, dass dies auf mangelnde Achtsamkeit und Sorglosigkeit im Umgang mit dem eigenen religiösen Verhalten hindeuten würde.

[Ibn Abidin, Radd al-Muhtar; Ibn Nujaym, Fath al-Ghaffar Sharh al-Manar]
 

Reue und Löschung

In den Büchern wird erwähnt, dass die Löschung großer Sünden Reue (Tawba) erfordert. Andernfalls kann Allah entweder entscheiden diese Sünde zu vergeben oder den Diener dafür zu bestrafen.

Kleine Sünden können aber durch bestimmte Taten des Gehorsams, wie sie in zahlreichen Hadithen erwähnt sind, gelöscht werden. Diese sind beispielsweise Wudu zu nehmen (in einer ausgezeichneten Art und Weise), das rituelle Gebet und das Freitagsgebet zu verrichten, im Ramadan zu fasten, eine Hadsch zu vollziehen, die akzeptiert wurde und wie es im Qur’an erwähnt wird, große Sünden zu vermeiden.

Allah der Allerhöchste sagt: „Wenn ihr euch von den schwereren unter den euch verbotenen Dingen fernhaltet, dann werden Wir eure geringeren Übel von euch hinwegnehmen und euch an einen ehrenvollen Platz führen.“ (4:31)

[Bajuri, Tuhfat al-Murid Sharh Jawharat al-Tawhid; Sawi, Sharh Jawharat al-Tawhid]

 

Haram vs. Makruh Tahriman

Während sich mit den Kriterien für große/kleine Sünden in allen vier Rechtsschulen auseinandergesetzt wurde, ist die Unterscheidung zwischen rechtlich nicht Erlaubtem (haram) und verbotsmäßig Missbilligten (makruh tahriman) spezifisch für die Hanifis.

Nach der hanifitischen Rechtsschule ist eine Sünde rechtlich verboten (haram), wenn sie durch maßgebliche Texte (nusus qat`iyya) eindeutig als sündhaft gilt. Das sind Texte, die uns durch vielfache Überlieferungsketten (tawatur) erreicht haben und bezüglich derer es keine Uneinigkeit zwischen den Gelehrten gab. Alle diese Sünden sind große Sünden. Beispiele sind das Gebet (Salat) zu unterlassen, die Weigerung Almosen (Zakat) zu zahlen oder seine Mutter oder Schwester zu heiraten.

Diese Sünden als erlaubt zu erachten, wird als eine Art des Leugnens oder als Ablehnung dessen betrachtet, was unabdingbarer Teil der Religion ist und könnte demnach Unglauben nach sich ziehen.

Eine Sünde ist verbotsmäßig missbilligt (makruh tahriman) wenn sie durch mehrdeutige (nusus dhanniyya), Texte als sündhaft gilt. Das sind Texte, welche die oben genannten Kriterien als eindeutig zu gelten, nicht erfüllen.

[Ibn Abidin, Radd al-Muhtar]
 

Einige dieser Sünden sind große Sünden (wie oben erwähnt durch die Definition der meisten Gelehrten) und einige sind kleine Sünden.

Beispiele sind Wucher-Geschäfte zu bezeugen oder aufzuzeichnen, sich bestechen lassen, sich tätowieren zu lassen, das andere Geschlecht zu imitieren, zu beten mit dem Drang zu urinieren oder den Darm zu entleeren oder für einen Mann Gold oder Silber zu tragen.

 

Das Nachmittagsgebet bis zum Sonnenuntergang hinauszögern

Jetzt zu dem Beispiel nach dem du konkret gefragt hast. Das Nachmittagsgebet bis kurz vor dem Sonnenuntergang hinauszuzögern, ohne eine gültige Entschuldigung dafür zu haben, ist verbotsmäßig missbilligt (makruh tahriman). [Ibn Abidin, Radd al-Muhtar]

Es gibt einen Hadith in Sahih Muslim, der besagt: „Dies ist das Gebet des Heuchlers: Er sitzt herum und beobachtet die Sonne bis sie zwischen den zwei Hörnern des Satans steht (d.h. sie steht kurz davor unterzugehen). Er steht auf und pickt viermal (d.h. er betet schnell vier Rakat, wie ein Vogel mit seinem Schnabel pickt), während er Allah nicht gedenkt dabei, außer einem Bisschen“.

Imam Kasani beschreibt diesen Hadith als Anzeichen „ für eine besondere Bedrohung, die das Nachmittagsgebet in dieser Zeit betrifft.“ [Bada`i al-Sana`i]

Gemäß der oben erwähnten Definition einer großen Sünde, wäre diese Tat also nach der hanifitischen Rechtsschule eine große Sünde. Und Allah weiß es am besten.
 

Möge Allah uns all unsere Sünden vergeben, große und kleine und möge Er uns Tawfiq (Erfolg) geben, sodass wir alles vermeiden was Ihm missfällt. Amin.

 

Originalquelle: http://seekershub.org/ans-blog/2011/09/19/major-vs-minor-sins-and-haram-...