Datum: 
17.12.2013

Von allen islamischen Themen, mit denen ich während meines Studiums im Ausland in Kontakt kam, war Uṣūl ul-Fiqh eines meiner liebsten – die Lehre über die Methoden, wie Gelehrte Regelungen aus dem göttlichen Text ableiten und extrahieren. Anstatt sich mit den Details bestimmter Regeln zu beschäftigen, werden im Uṣūl ul-Fiqh der Prozess bis dorthin als Gesamtes, als auch die grundlegenden Prinzipien, derer sich Gelehrte bedienen, um Urteile über religiöse Belange zu fällen, betrachtet.

Ich habe dabei sehr oft bemerkt, dass viele Menschen mangels Bildung über diese wichtigen Prinzipien und Begriffe zu Missinterpretationen, Trugschlüssen und falschem Verständnis über das islamische Recht und die islamische Gesetzgebung neigen. Daher würde ich gern die sechs häufigsten Fehler behandeln, die in Bezug auf die Wissenschaft des Uṣūl ul-Fiqh gemacht werden und erklären, warum ein korrektes Verständnis dieser wichtig ist.

6. Fehler

„Wenn ich etwas tue, was islamrechtlich gesehen gültig ist, dann heißt es auch, dass Allah dieses von mir akzeptiert und liebt.“

Eine Tat, die rechtliche Gültigkeit im Islam besitzt, wird dadurch definiert, dass sich alle inneren und äußeren Anforderungen im Rahmen der Schariah befinden und somit rechtlich existieren dürfen. Sie ist daher gültig, verbindlich und hat rechtliche Konsequenzen. Jedoch bedeutet die rechtliche Gültigkeit einer Tat nicht gleich, dass Allah ein Individuum dafür belohnen, diese Tat akzeptieren oder bei Ausübung dieser Tat mit ihm zufrieden sein wird. Die Akzeptanz und Freude Allahs beruht auf vielen anderen Faktoren, inklusive der Absicht des Individuums, des inneren Zustandes während der Ausübung einer Tat und welche Mittel benutzt wurden, um diese Tat auszuführen.

Zum Beispiel kann ein Mensch ein rechtlich gültiges Gebet vollziehen, mit allen dafür vorgesehenen Voraussetzungen und inneren sowie äußeren Komponenten, jedoch mit der Absicht der Zurschaustellung, das Gebet selbst in einem geistig abwesendem Zustand durchführend, auf einem Platz der unrechtmäßig weggenommen und in Kleidern, die auf nicht zulässige Art erworben wurden. Während so ein Gebet formaltechnisch gültig sein mag1, können wir jedoch davon ausgehen, dass es Allah nicht gefallen und akzeptieren wird. Faktisch gesehen kann es sein, dass so eine Person Sünden anhäuft und sich von Allah entfernt, und das alles während einer formell betrachtet gültigen Handlung.

Ein anderes Beispiel wäre das eines Mannes, der dank Schwindel und Unehrlichkeit eine Zweitfrau ehelicht, wobei die erste Frau darunter leidet und die Beziehung Treue und Liebe verliert. Er mag die Zweitfrau als etwas islamrechtlich gültiges standhaft verteidigen, jedoch verneint die rechtliche Gültigkeit dieses Aktes nicht die missbräuchliche Handlungsweise, die er an den Tag gelegt hat, wie es auch nicht verneint, dass er für die Konsequenzen verantwortlich gemacht wird. Der Ehevertrag mag im Rechtswortlaut verfasst sein, doch die wahre Bedeutung und Seele dieses Rechts – Ziel und Zweck der Ehe als eine Instanz von Gemeinsamkeiten, Liebe, Beschaulichkeit und Unterstützung füreinander, wie sie im Qurʾān und der Sunnah des Propheten – Frieden und Segen seien auf ihm – beschrieben wurde – wird hier links liegen gelassen.

Sich sicher sein, dass die Taten und Handlungen rechtlich korrekt und gültig sind, ist durchaus besonders wichtig, und der erste entscheidende und essentielle Schritt auf dem Weg, sich Allah zu nähern und Sein Wohlgefallen zu erlangen. Es sollte jedoch nicht zugleich der Letzte sein. Wir müssen uns ebenfalls bemühen, diese mit Ehrlichkeit, hohen Grundsätzen und ethischer Moral auszuführen, genauso wie wir es aus dem Lernen des Qur’an und der Sunnah des Propheten – Frieden und Segen seien auf ihm -, ganzheitlich und thematisch, lernen.

Wir stoßen sehr oft auf Fatwas, die in „Rechtsgültig“ und „Rechtsungültig“ unterteilt sind und sich nicht notwendigerweise in die moralischen Aspekte der gefragten Handlung vertiefen. Das liegt daran, dass sich die Rechtsgelehrten historisch gesehen auf die rechtlichen Auswirkungen und weltlichen Konsequenzen ihrer Urteile fokussierten, da sie für ihre Herstellung und ihren Beschluss zuständig waren. Zum Beispiel: Verdient diese oder jene Handlung eine Ḥadd – Strafe? Wurde eine Ehe korrekt durchgeführt, damit sie rechtliche Gültigkeit besitzt und die Kinder aus ihr zu Recht erben? Und so weiter. Das war und sind die Schwerpunkte der Rechtsgelehrten, eher als die überirdischen Konsequenzen, welche jenseits ihrer Verantwortung liegen, und sich viel eher darauf beziehen, ob eine Handlung moralisch, ethisch und Allah gefallend ist.

Als individuelle Muslime, welche sich bemühen zu glauben, das Paradies zu erreichen, all ihre Taten zu jenen zu machen, die Allah liebt, müssen wir jenseits von juristischen Begriffen denken und uns an die spirituellen und ethischen Dimensionen des Rechts mitsamt seinem Wortlaut erinnern. Wir sollten ein hohes und prinzipientreues Verständnis nach prophetischem Muster an den Tag legen, anstatt nach Schlupflöchern im Rechtssystem zu suchen, um unser unmoralisches Verhalten mit den Worten „Aber meine Taten sind rechtlich noch immer gültig!“ zu entschuldigen und zu rechtfertigen. Zudem sollten wir nicht den Fehler begehen, von Zuversicht unserer Taten zu strotzen, indem wir glauben, sie wären bei Allah automatisch akzeptiert, nur weil sie rein äußerlich korrekt sind. Erst wenn die äußerliche Form mit reinem inneren Zustand verlinkt ist, bewegt man sich vom Bereich der rechtlichen Konsequenzen zu den Weiden göttlicher Akzeptanz.

Möge Allah der Erhabene uns zu jenen zählen, die ihre Pflichten mit Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und mit dem Wortlaut sowie dem Geiste der göttlichen Lehre erfüllen. Amin

Ende des 1. Teiles

1) Ein Gebet dieser Art ist nach der hanefitischen, schafiitischen und malikitischen Rechtsschule gültig

 

Von Ustaḏa Shazia Ahmad

Übersetzt von Ahmed Gunic